Streaming-Konzert des Collegiums 1704
Virtuelle Auftritte und digitale Angebote sind natürlich besser als gar nichts, und doch bleibt festzustellen: das Erlebnis eines Konzerts, einer Oper oder eines Theaterstücks läßt sich so nicht ersetzen. Auch das »Gemeinschaftserlebnis«, das manchmal in den Medien benannt wird, ist nur zweitrangig. Entscheidend ist ein authentisches Moment, das sich zwischen dem Akteur, dem Musiker, Schauspieler, Sänger … und seinem keineswegs passiven Betrachter, Zuschauer, Zuhörer … einstellt. Eine Erfahrung der letzten Wochen ist eben, daß digitale Konzerte nicht die gleiche Spannung und Aufmerksamkeit erzeugen wie die traditionellen Formate, also die echten Auftritte.
Videoausschnitt (Caldara Missa Dolorosa), Quelle: Kulturadoma.cz
Da wir aber gerade jene Künstler, die wir lieben, trotzdem erleben wollen, können Videos und Streaming-Angebote durchaus eine Brücke schlagen.
Seit gestern kann man das Collegium 1704 und das Collegium Vocale 1704 in einem Streaming-Konzert erleben, das in den Prager Crossroads aufgenommen wurde und gegen ein geringes Eintrittsgeld (allerdings nur via PayPal) auch weiterhin verfügbar ist.
»Pravda a láska musí zvítězit nad lží a nenávistí« (»Wahrheit und Liebe müssen siegen über Lügen und Haß«), eines der bekanntesten Zitate von Václav Havel, steht auf der Bühnenumrandung geschrieben. Auf der Bühne versammeln sich anfangs acht Sängerinnen und Sänger in entsprechendem Abstand – jede Stimme ist nur zweifach besetzt, während im Orchester nur einfache Stimmen mit acht Musikern realisiert werden. Sie spielen Antonio Caldaras Missa Dolorosa, später, für Domenico Scarlattis Stabat Mater a 10 voci, werden sich zehn Sängerinnen und Sänger mit nur vier Musikern vor der Bühne aufstellen – der Zuschauerraum bleibt selbstverständlich leer.
Unter der Leitung von Václav Luks entfalten sich auch in dieser durch Distance und Trennung gekennzeichneten Umgebung ein gemeinsames Musizieren, lebensvolle Farben, ein in jeder Stimme durchsichtiger Klang. Missa wie Stabat Mater erweisen sich als effektvolle Stücke, zeigen aber auch das ausgefeilte Verständnis von Václav Luks und seinem Ensemble, das Schattierungen und Kontraste wie selbstverständlich setzt. Wer die Konzerte in ihren normalen Umgebungen kennt, hört die einzelnen Stimmen, gerade der Sänger, sofort heraus!
So erleben wir einen Caldara voller Freude und Lebensmut mit Momenten inniger Ruhe und einen Scarlatti, der mit fugierten Stimmen und sensitivem Ausdruck umgehen kann. Nicht Klage oder Trauer allein bestimmen die Werke, sondern die eine zuversichtliche Hoffnung – sie sollte auch uns bestimmen.
Schön ist zusätzlich, daß noch die Bildführung solch ausgefeilte Dramaturgiekenntnisse offenbart. Statt hektischer Schnitte und dynamischer Kamerafahrten (wie sonst oft üblich) dominiert eine ruhige Bildführung, die aber auch ein Schattenspiel Václav Luks‘ einschließt. Eine dreiviertel Stunde Besinnung finden Sie hier:
https://www.kulturadoma.cz/serviceItem/45
Vor allem facht das Konzert die Vorfreude an auf die Wiederaufnahme der Konzerte und darauf, wieder einmal Prag zu besuchen – es wird Zeit für einen Abstecher zur Crossroads!
30. April 2020, Wolfram Quellmalz
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