Für Kopf und Herz

Werke für Klarinette von Mieczysław Weinberg

Dunkel trillernd ruft die Klarinette, scheint subtil verwoben mit einem Orchester, das – doppelbödig sozusagen – in hohen und tiefen Lagen Pizzicati spielt und ein Spannungsfeld öffnet. Es ist die Musik eines Getriebenen, der auf der Suche ist, wenn nicht gar auf der Flucht. Die Klarinette – darin findet das Konzert von Mieczysław Weinberg und seinem Freund Dmitri Schostakowitsch einen gemeinsamen Nenner – ist wie das einsame Individuum, gejagt, und dennoch (oder gerade deshalb) voller Leben und mit einer Sehnsucht, die sich spätestens in den Kantilenen des Solisten (Robert Oberaigner) ergießt.

Gerade darin, wie sich Brüche und Reflexe widerspiegeln, zeigt sich eine Harmonie und innere Verbundenheit der Musiker, welche schließlich noch in zartesten Nuancen blühen kann. Robert Oberaigner ist Soloklarinettist der Sächsischen Staatskapelle Dresden und musiziert in einer neuen Aufnahme, die gerade bei Naxos erschienen ist, mit seinen Orchesterkollegen. Die fanden in dem Projekt so nah zueinander, daß sie nicht einfach als »Musiker der Staatskapelle«, sondern als Dresden Chamber Soloists auftreten – man darf gespannt sein, was noch von ihnen zu hören sein wird.

Ebenso nah steht ihnen der Dirigent der Aufnahme, Michail Jurowski. Seit Jahrzehnten pflegen das Orchester und er eine Partnerschaft, die sich nicht zuletzt bei den Internationalen Schostakowitsch Tagen Gohrisch vertieft hat. Daß Michail Jurowski den Komponisten Mieczysław Weinberg noch persönlich kennengelernte, ist ein Vorteil, der das Projekt zusätzlich angeregt hat und spürbar in die Aufnahme eingeflossen ist.

Neben dem Klarinettenkonzert Opus 104 und der Kammersinfonie Opus 153 findet sich auf der CD auch die Klarinettensonate Opus 28, die Robert Oberaigner mit dem Pianisten Michael Schöch eingespielt hat. Sie ist angefüllt von geradezu zärtlichen Gesten, aber auch tänzerischen Motiven, optimistischen Hinwendungen an das Leben. Immer wieder konzentrieren die feine Phrasierungen, die sachte Tongestaltung, nehmen gefangen, bannen den Zuhörer geradezu, ohne daß dafür ein überborden energetisches »Schäumen« notwendig wäre. Das vertieft nicht nur ein Gefühl der Nähe, wenn Weinbergs Sonate spätromantisch schimmert, es macht auch jenes der Einsamkeit beklemmend spürbar.

Die Kammersinfonie Nr. 4 beginnt leicht wie eine Suite, bevor sie im zweiten Satz in Tonfarbe und Charakter einen Wandel erfährt, sich zunehmend verdüstert, verlangsamt. Dennoch enthält sie im weiteren Verlauf (mit der solistischer Klarinette) optimistische Züge. Auch hier findet Weinberg zu einem folkloristisch-lebendigen Ton, der im Finale einen musikalischen Wirbel entfacht. Doch ein triumphales Ende hat der Komponist vermieden – erneut mischen sich herbe Klänge von Violinen und Violoncello ein, brechen den Tanz. Erst verlischt der Ruf der Klarinette, dann die ganze Kammersinfonie.

Oberaigner

Werke für Klarinette von Mieczysław Weinberg, Robert Oberaigner (Klarinette), Michael Schöch (Klavier), Dresden Chamber Soloists, Michael Jurowski (Leitung), erschienen bei Naxos (Nr. 8.574192)

17. Mai 2020, Wolfram Quellmaz

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