Mieczysław Weinberg auf der Spur

Interview mit Robert Oberaigner

Mieczysław Weinberg erfährt momentan, so scheint es, eine Renaissance. Das gilt wohl deutschlandweit, in Dresden gab es besondere Impulse mit der Aufführung seiner Oper »Die Passagierin« sowie den Stücke, die während der Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch gespielt wurden. Was war Ihr »Initiationspunkt« für Weinbergs Musik?

PortraitPhoto: Andrej Kasik

Das ist für mich sehr einfach auf genau eine Gegebenheit zurückzuführen: Meine Freundin, die Pianistin Elisaveta Blumina, fragte mich für ein Konzert mit Weinbergs Klarinettensonate für die Tage jüdischer Musik in Halle. Vorher kannte ich den Komponisten nicht und ich war regelrecht perplex, warum nie einer meiner Lehrer oder andere Klarinettisten über diese Musik gesprochen haben. Offensichtlich mußte dieser Komponist bei dieser Qualität seiner Werke vollkommen vergessen worden sein. Um so mehr war ich erstaunt, daß es auch ein Konzert gibt und eine Kammersymphonie mit obligater Soloklarinette. Ich habe meine Begeisterung also Elisaveta Blumina zu verdanken!

Michail Jurowski, der Dirigent der Aufnahme, hat den Komponisten noch persönlich kennengelernt. In einem Interview spricht er davon, daß man biographische Fakten aus Weinbergs Leben immer in seinen Werken wiederfindet. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?

Michail Jurowski hat uns alle diese Beispiele in den Werken gezeigt. So ist die vierte Kammersymphonie ein biographisch angelegtes Werk. Man hört die unbeschwerte Jugend im ersten Satz, das Poltern der Deportationszüge im 2. Satz, Verzweiflung und Resignation im 3. und versöhnliche, teils humoristische Klänge am Ende. Buchstäblich haucht der Komponist am Ende sein Leben aus.

Wenn es bei Weinberg zum Beispiel einen jagenden Impuls gibt wie im Klarinettenkonzert, mit dem die Aufnahme beginnt, erinnert er manchmal an seinen Freund Schostakowitsch. Was, glauben Sie, ist dieser Impuls: die Flucht eines verfolgten Individuums oder die Flucht ins Leben.

Ganz klar die Flucht eines verfolgten Individuums. Das geht aus seiner Biographie hervor. Die individuelle Seite Weinbergs zeigt sich in seinen humoristischen Passagen wie dem dritten Satz des Konzertes oder dem vierten Satz der Kammersymphonie.

Es gibt ungemein berührende, fast zärtliche Momente in Mieczysław Weinbergs Musik, nicht nur in der Klarinettensonate, die sie mit dem Pianisten Michael Schöch spielen, sondern auch in den Werken mit Orchester. Hier liegt die Vermutung nahe, daß darin Sehnsüchte, wehmütige Erinnerungen verbunden sind. Wie nähert man dabei als Interpret solchen Passagen (über die Notation des Komponisten hinaus) – durch Kenntnis des Lebenslaufes des Komponisten oder weil man ein interpretatorische Intuition entwickelt hat, solche Musik romantisch oder anders zu deuten?

Schwer zu beantworten … Für mich ist es immer wichtig, sich zunächst rein emotional der Musik zu nähern. Entscheidend ist für mich, welche Emotion ich selbst durch die Musik aufgreife und was mir ein Stück nur durch die Komposition selbst sagt. Danach befasse ich mich mit dem Hintergrundwissen, bei Weinberg vor allem seine Biographie, bei Carl Maria von Weber oder Mozart wären das eher die Aspekte der Aufführungspraxis, manchmal sind es auch Tondokumente und Schriften wie bei meinen Brahms Aufnahmen.

Das kammermusikalische Stück ist auf der CD zwischen das Konzert und eine Kammersinfonie gebettet. Es hat vielleicht noch mehr Tiefe, wirkt noch intimer – kann man es (wie »Die Passagierin«) eigentlich als ein Schlüsselwerk betrachten?

Das kann ich leider nicht beantworten, denn was ist ein Schlüsselwerk? Dazu können sich nur Komponisten selbst äußern, außer vielleicht es geht um monetäre Aspekte (lacht!). Aber die Frage zeigt, daß wir wohl etwas richtig gemacht haben.

Die Musik auf der CD ist aber oft auch humorvoll – Michail Jurowski hat betont, wieviel Freude ihm die Arbeit an diesem Album gemacht hat. Was nehmen Sie aus diesem Projekt für sich mit?

Freundschaft! Zum einen haben mich meine Kollegen und Freunde wahnsinnig glücklich gemacht, da sie einfach sagten »Mach die Aufnahme mit uns, wir gründen ein Orchester!« Dadurch konnten wir in Dresden aufnehmen und viel kammermusikalischer arbeiten. Außerdem liebt Michail Jurowski den Kapell-Streicher-Klang. Zum anderen lernte ich das Ehepaar Jurowski kennen und wir sind noch oft in Kontakt. Außerdem haben mich auch einige Freunde wahnsinnig in der organisatorischen Arbeit unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin! Meine Idee Weinberg aufzunehmen war sicher gut, aber ohne Freunde wäre es nicht so besonders geworden.

Also sind die Dresden Chamber Soloists, eine Neugründung für die Aufnahme, kein einmaliges Projekt – wird es eine Fortsetzung geben?

Unser neu gegründetes Orchester bzw. Ensemble wird eine Fortsetzung haben, und nicht nur eine!! Zunächst spielen wir als Ensemble vor allem Beethoven und bauen als Orchester ein Festival auf. Noch wissen wir nicht, ob wir ein Kammermusikensemble oder ein Kammerorchester sind, und genau das ist gerade das Schöne! Wir beginnen eine Reise und schauen mal wohin es geht.

17. Mai 2020, Wolfram Quellmalz

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