Musikalische Pionierarbeit

AARON COPLAND ENTDECKEN

Zu sagen, es würde nichts abseits des Kanons klassischer Musik gehört oder gespielt, wäre verfehlt. Schaut man in die Planung der Veranstalter, finden sich viele »Ausflüge«, welche die Grenze des Kanons weit aufstoßen. Und immer dann, wenn sich ein Künstler persönlich interessiert, engagiert oder ein Projekt entsteht, kann man zu völlig neuen Einsichten gelangen.

Der amerikanische Dirigent Case Scaglione hat das Württembergische Kammerorchester Heilbronn, dessen Chefdirigent er seit 2018 ist, zu einer Aufnahme mit Musik seines Landsmannes Aaron Copland verführt. Mit dabei sind Céline Moinet, die Solooboistin der Sächsischen Staatskapelle Dresden, sowie Sebastian Manz (Klarinette) und Wolfgang Bauer (Trompete).

Obwohl durch Herkunft (Litauen) und Lehrer bzw. Vorbilder europäisch beeinflußt, suchte Copland nach seiner Rückkehr in die USA ein typisch amerikanisches Idiom. Wesentlich geprägt haben den Komponisten der Jazz und die folkloristische amerikanische Musik, wie er sie während seiner Jugend in Illinois und Texas kennengelernt hatte, aber auch Kompositionen von Kurt Weill, Igor Strawinsky oder Nadja Boulanger, deren Student Copland gewesen war. Anders als Antonín Dvořák etwa dreißig Jahre zuvor »fand« Copland nicht nur ein amerikanisches Idiom, er war darin verhaftet und prägte es selbst mit.

Die Aufnahme versammelt drei Schlüsselwerke: die Suiten »Appalachian spring« (1944 entstanden, Suite für 13 Instrumente nach einer Ballettmusik) und »Quiet City« für Englischhorn, Trompete und Streicher (1940), sowie das Klarinettenkonzert von 1948.

»Appalachian spring«, 1944 in der Library of Congress in Washington uraufgeführt, hat eine Geschichte Amerikanischer Pioniere zum Inhalt und wurde früh mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Es vereinigt lyrische und idyllische Stimmen, nach einem wehmütigen Mittelteil entwickelt es erneut eine individuelle Brillanz. Case Scaglione läßt die Musiker mit feiner Artikulation hervortreten, legt viel Wert gerade auf die Einzelstimmen am Beginn sowie auf Brüche, die Verletzlichkeit der im Ballett dargestellten Personen. Die Stimmen bleiben kammermusikalisch und direkt aufeinander bezogen, so daß man nicht zwingend die leitende Hand eines Dirigenten vermutet, der der Strömung eine Richtung gibt.

Während »Appalachian spring« den tänzerischen Bezug mit folkloristischen Elementen unterstreicht, wird der patriotische Ton, der dabei aus dem Hintergrund hervorleuchtet, in »Quiet City« viel deutlicher. Die Solostimmen (Englischhorn und Trompete) treten dabei noch viel eindringlicher, mahnender hervor. Der Dialog bzw. das Spiel von Ruf und Echo gelingt Céline Moinet und Wolfgang Bauer faszinierend. Dennoch behält das Werk die Noblesse der Leichtigkeit – es ist ein Patriotismus ohne Pathos, den uns Case Scaglione offeriert.

Mit dem Konzert für Klarinette, Streichorchester, Harfe und Klavier schließt die CD ganz unpatriotisch, ist aber dennoch ein klares Bekenntnis zur Musik Aaron Coplands. Sebastian Manz folgt der kantilenen Stimmführung mit weicher, schmeichelnder Phrasierung, glättet Kanten, läßt Anklänge an Jazz oder Swing fast unmerklich einfließen. In der Bedächtigkeit des langsamen Beginns (Slowly and expressively – Cadenza) liegt eine sinnliche Bedächtigkeit bar jeder Trägheit. Die Musik schöpft daraus Kraft, wird plötzlich lebhaft, virtuos, was Sebastian Manz im munteren Ton der Singdrossel vollführt, bevor die CD mit der sinfonischsten Passage schließt.

Mai 2020, Wolfram Quellmalz

Father CoplandWürttembergisches Kammerorchester Heilbronn, Case Scaglione (Leitung), Céline Moinet (Englischhorn), Sebastian Manz (Klarinette), Wolfgang Bauer (Trompete) »Father Copland«, mit Werken von Aaron Copland: »Appalachian Spring«, »Quiet City«, Klarinettenkonzert, erschienen bei Berlin Classics

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