Orgelzyklus an der Dresdner Frauenkirche fortgesetzt
Konzerte sind nicht nur in ihren Programmen und der Anzahl der Sitzplätze eingeschränkt, da Künstler oftmals nicht anreisen können, sei dies nun direkt auf Reisebestimmungen zurückzuführen oder dem Vermeiden eines Risikos geschuldet. Davon war die für den Mittwoch ursprünglich eingeladene Kanadierin Isabelle Demers mit Wohnsitz und Lehrauftrag in Baylor, Texas, betroffen. Sowie Louis Vierne. Der hätte zwar aus sozusagen »natürlichen« Gründen sowieso nicht anreisen können, doch sein Jubiläum zum 150. Geburtstag ist ebenso beschädigt wie jenes Beethovens. Da ist es schön, wenn man gut vernetzt ist und jemanden findet, der einspringen kann: Stefan Kordes übernahm den Termin am Mittwoch in der Frauenkirche, kurz nachdem sein eigenes Orgelfest »Vox Organi« in Südniedersachsen zu Ende gegangen war. So blieb das Vierne-Fest intakt, denn der Organist von St. Jacobi Göttingen übernahm die sechste Sinfonie in sein Programm und fügte ihr weitere französische Orgelmusik hinzu. Die hat es ihm offenbar angetan, denn Stefan Kordes widmete 2012 eine CD dem »Zauber der französischen Orgelmusik«.
Wer »verzaubern« will, muß das Publikum überraschen und betören, in diesem Fall also mehr bieten als das, was man erwartet: sinfonische, vielfarbige Orgelmusik. Manchmal erreicht man es gerade mit kleinen Stücken, wenn sie von bezaubernder Leichtigkeit sind. In diesem Sinne konnte man Henri Mulets Toccata »Tu es Petra« (Du bist der Fels) aus den »Esquisses byzantines« (byzantinische Skizzen) auffassen. Der vorantreibende (schlagende) Rhythmus der Toccata trug eine Melodie und war mit bildhaftem Kolorit ausgestattet, das im Hörer eine Brandungsszene evozieren konnte. Heiter und wogend flutete das Stück durch die Frauenkirche. Das nachfolgende Cantabile aus »Trois Pièces« des in Lüttich geborenen César Franck stellte mit ruhigen Liegetönen einen Gegensatz dar. Langsame Bewegungen luden zum Verweilen ein, dem Gesang über dem Baß zu lauschen.
An dieses musikalische Innehalten schloß Stefan Kordes Louis Viernes Sinfonie h-Moll an (wie Francks Stück auf der CD enthalten). Jeder ihrer Sätze allein ist länger und in seiner melodischen und strukturellen Ausdehnung größer als die eingangs gehörten Werke. Und doch behielten sie ihren Zauber, denn selbst im Scherzo, das Kordes im Programmheft mit »trotzig, wild und aufbrausend« beschreibt, waren Wucht oder Lautstärke nicht alleinbestimmend. Viernes letzte Sinfonie entstand unter dem Eindruck des Verlustes – ein befreundeter Organist war kurz zuvor verstorben. Daß sich schwermütige, tragische Gedanken in dem Werk niederschlugen, ist angesichts eines von vielen Schicksalsschlägen gekennzeichneten Lebens des Komponisten verständlich.
Orchestral, melancholisch, aber auch mit Lichtreflexen behaftet, entfaltete sich der erste Satz grundsätzlich heiter, zeigte aber immer wieder Einschnitte von Düsternis. Das Werk schien im ganzen immer weiter zu wachsen, gerade im zweiten Satz, der nach oben zu streben schien, dann aber im Abwärts verhielt. Das wirklich schwermütige Adagio wird von Scherzo und Final umrahmt, wobei sich letzteres direkt anschließt und die Tragik nicht auslöscht, ihr aber eine Wendung verleiht.
Stefan Kordes strich in seinem Spiel zwar die sinfonischen Farben heraus, ließ sie aber nicht vollständig verschmelzen, sondern wahrte eine merkliche Trennung der Registerstimmen und damit einen konzertanten Charakter des Stückes.
30. Juli 2020, Wolfram Quellmalz
Auch das nächste Konzert des Orgelzyklus‘ in der Frauenkirche ist Louis Vierne gewidmet. Ben van Osten (Den Haag) wird dann unter anderem die vierte Sinfonie spielen: 19. August, 20:00 Uhr, Frauenkirche Dresden
Stefan Kordes (Paul-Ott- / Siegfried-Schmid-Orgel von St. Jacobi Göttingen) »Zauber der französischen Orgelmusik«, Werke von Charles-Marie Widor, César Franck, Marcel Dupré, Nicolas de Grigny, Olivier Messiaen und Louis Vierne (www.jacobikantorei.de)
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