Fugen mit Passion

CD von Pianistin Violetta Khachikyan

Als wir den Titel »Fugenpassion« lasen, dachten wir bei der Wahl dieses Titels zunächst an marketingstrategische Überlegungen. Doch zeigte sich schnell eine inhaltliche Verbundenheit. Denn die Pianistin Violetta Khachikyan bezieht sich bei der Bezeichnung auf Robert und Clara Schumann. In einem Tagebucheintrag, in dem sie vom gemeinsamen Studium der Fugen berichtet, hat Clara Schumann den Begriff geprägt: »Er [Robert] selbst geriet aber auch in eine Fugenpassion«

Violetta Khachikyan hat für ihre Aufnahme Fugen mit Passion zusammengetragen: von Felix Mendelssohn und natürlich Robert Schumann zum Beispiel. Allerdings beginnt sie die Aufnahme mit einem rechten Schwergewicht: Ludwig van Beethovens vorletzter Klaviersonate. Darin kommt der Komponist im dritten Satz gleich mehrfach auf die Fuge: anders als »üblich« krönt sie nämlich nicht das Werk am Schluß, Beethoven läßt ihr noch ein Allegro nachfolgen, das er schließlich mit einer erneut eintretenden Fuge verschränkt. Die CD mit Beethoven zu beginnen, mag – gerade im Jubiläumsjahr, das so viele Einspielungen und Vergleichsmöglichkeiten bietet – etwas gewagt sein und zunächst eine andere Richtung vorzugeben scheinen (schließlich folgen weder Beethoven noch andere Sonaten). Noch klingt Khachikyans Spiel etwas geradlinig, würde mehr Tiefe, Wagemut oder differenzierte Auslotung vertragen.

Ja, mag sein, daß Violetta Khachikyan in den kommenden Jahren reifen kann, ihr Beethovenspiel noch reflektierter wird. Der Vergleich mit ausgesprochenen Beethovenspezialisten oder solchen, die bereits ganze Zyklen aufgeführt und aufgenommen haben, ist dennoch ein wenig unfair und so unpassend wie die Erwartung, ein Pianist (oder Dirigent) würde erst jahrzehntelang Erfahrungen sammeln (Wo denn, bitteschön?) und dann, frühestens mit sechzig Jahren, die Bühne betreten. Beethoven hat immer und für jeden Pianisten (und jede Pianistin) Bestand, ob er oder sie 14, 44 oder 84 Jahre alt ist.

Richtig interessant wird die CD nach Beethoven. Denn nun folgen gleich zwei »Studienstücke«: Felix Mendelssohns Fugen cis-Moll MWV U 51 und Es-Dur MWV U 57. Sie zeigen den siebzehnjährigen Komponisten, der überaus talentiert war, der Bach studierte und jeden Einfluß durch Werke oder Lehrer, den er bekommen konnte, gewinnbringend umzusetzen wußte – Mendelssohn verharrte nicht, sondern ging weiter oder bereicherte das Erlernte um seinen Einfallsreichtum. Auf die noch unbekannten (da kürzlich erst edierten) Werke folgen die Vier Fugen Opus 72 Robert Schumanns. Violetta Khachikyan beweist Kenntnis und Sicherheit im Umgang mit der Gewichtung von Stimmen, dynamischer Stufungen und darin, aus einem strukturellen Aufbau Klang wachsen zu lassen. Trotzdem lassen die Fugen von Mendelssohn und Schumann bei Violetta Khachikyan Freiheit missen, erscheinen zu beherrscht oder akademisch durchdacht, wie in der Steigerung von Opus 72 Nr. 2 oder dem an sich poetischen Motiv in der nachfolgenden Fuge.

Sobald den Fugen jedoch die Komponente der Klangfarbe hinzugefügt wird oder diese an Gewichtung gewinnt, wendet sich das Blatt. Mit César Franck, Carol Szymanowski und Sergei Tanejew stehen in der zweiten Hälfte der Aufnahme Komponisten im Programm, die den meisten beim Begriff »Fuge« wohl nicht eingefallen wären. Francks Prélude, Choral et Fugue ist in der Tat nicht für die Orgel entstanden. Vielmehr handelt es sich um ein Spätwerk des Komponisten. Es wird gemeinhin als seine erste Klavierkomposition (1884 veröffentlicht) anerkannt und schöpft seinen Reichtum natürlich aus der Erfahrung und Kenntnis des Organisten. Violetta Khachikyan behandelt das Werk aber wie eine Klavierkomposition, bleibt moderat im Choral, vermeidet also eine Betonung der Melodie im Choral (was zu »süßlich« wäre), zaubert mit leichter Hand Hintergrundfarben, ganz wie an einer Orgel. Deren Macht läßt sie in die Fuge einströmen, mit der das Werk schließt.

Noch größere Überraschungen gibt es zum Abschluß mit zwei Präludien und Fugen in gis-Moll: einmal sehr modern von Carol Szymanowskis, danach Sergei Tanejews Präludium (Opus 29). Während Szymanowski uns an den Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zurückführt und sich einer klaren, fast kalten, strukturellen Klangsprache bedient, erweist sich Tanejews wenige Jahre später entstandenes Werk als »leichtfüßiges«, melodiöses Stück – Tanejew hat in seine Kammermusik mit glühendem, oft sinfonischen Kolorit gezeichnet, hier beweist Violetta Khachikyan, daß der gefragte Pianist Tanejew auch mit musikalischem Pastell umgehen konnte.

Juli 2020, Wolfram Quellmalz

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Violetta Khachikyan (Klavier) »Fugenpassion«, Werke von Beethoven, Mendelssohn, Schumann, Franck, Szymanowski und Tanejew,
gwk Records

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