Liv Migdal in der Frauenkirche Dresden
Im Rahmen der »Young Artists« kam Liv Migdal am Montagabend zum Konzert in die Dresdner Frauenkirche. Wer schon einmal Gelegenheit gehabt hatte, die junge Geigerin zu erleben, wußte um ihre feinfühlige, exakte Interpretation. Mit ihrem Vater Marian, einem Hamburger Klavierprofessor, hatte sie zahlreiche Konzerte gegeben und auch CDs eingespielt, die von einer exquisiten musikalischer Partnerschaft zeugen, wie beispielsweise in den Werken Józef Wieniawskis. Nach dem plötzlichen Tod Marian Migdals 2015 trägt seine Tochter diesen musikalischen Gedanken weiter.
Für das gestrige Konzert hatte sie Werke Johann Sebastian Bachs und Paul Ben-Haims mitgebracht. In der Sonate für Violine solo C-Dur (BWV 1005) offenbarte Liv Migdal sogleich die Balance zweier Stimmen, die sich gegenseitig riefen und trugen – es war, als hätte die Musikerin vier Arme! Adagio und Fuge zelebrierte Liv Migdal andächtig, das Allegro assai vollführte sie dann in überraschend flottem, fast wahnwitzigem Tempo. Doch nicht überstürzt klang der Schlußsatz, sondern atemlos – dabei präzise! – und ließ den Schlußakkord in den Raum strömen.
In Paul Ben-Haims Sonate für Violine solo verbanden sich tänzerische und folkloristische Motive, immer wieder erinnerte die Musik an sephardische Gesänge. Das Allegro energico offenbarte eine glitzernde Virtuosität, worauf Liv Migdal im zweiten Satz die tiefe Gesanglichkeit des Lento e sotto voce betonte. Die darin kaum verborgene Melancholie löste der letzte Satz auf, der beide Elemente – Melancholie und Virtuosität – glänzend verband.
Johann Sebastian Bachs Chaconne, der Schlußsatz aus der zweiten Partita, ist ein Meilen- und Prüfstein der Violinliteratur. Liv Migdal begann ihn überraschend schnell, fast eilig. Hier schien es, als würde die Andacht, die noch den Beginn von BWV 1005 ausgezeichnet hatte, fehlen. Ungewohnt war dieser Anfang, doch bewies Liv Migdal, daß sie einen Interpretationsansatz damit verband. Sie wußte das Stück von hier zu lenken und zu leiten, so daß sich der melodische Fluß – erneut in Ober- und Unterstimme – verbreiten konnte. Ohne Brechung in Dynamik oder Tempo gelang der Interpretin eine stetige Steigerung, mündete in einen – im Kirchenschiff eindrucksvoll hallenden – Schlußton.
Zu den beeindruckenden Fähigkeiten Liv Migdals gehört es, auch einen dynamisch schlanken Ton zu gestalten, der trotzdem nicht im Leisen verschwindet. Mit einem andächtigen Largo in der Zugabe sann sie schließlich noch einmal Bach nach.
13. Oktober 2020, Wolfram Quellmalz
