Heinrich Schütz Musikfest
Die letzte Woche war für das Heinrich Schütz Musikfest eine äußerst glückliche und erfolgreiche. Trotz erheblicher Hindernisse konnte der Veranstalter Mitteldeutsche Barockmusik e. V. alle Konzerte durchführen. Glück allein war dies nicht, vielmehr einem Höchstmaß an Organisation und Flexibilität geschuldet. Wie schon oft blickte das Fest nicht nur zurück in die Zeit Heinrich Schütz‘, sondern verweilte im Hier und Jetzt, richtete den Blick in die Zukunft – neben jungen Musikern wie der Gambistin Lucile Boulanger und dem am vergangenen Sonnabend mit dem Rudolf-Mauersberger-Stipendium ausgezeichneten Nikolai Skoda tragen immer wieder Uraufführungen dazu bei.
Die Auftritte Lucile Boulangers werden dem Publikum sicher lange im Gedächtnis bleiben. Am Donnerstag [der Vorwoche, Anm. d. Red.] war die Gambistin noch einmal im Coselpalais (Pianosalon Dresden) zu erleben. In einem gemischten Ensemble mit Robin Peter Müller (Violine und Leitung), Manuela Maria Mitterer (Blockflöten und Oboe), Fernando Olivas Hernandez (Laute), Magdalena Hasibeder (Cembalo) und Philipp Lamprecht (Percussion) hieß es »absolut französisch«. Mit Ausschnitten und Pastiches aus Balletten, Opern und anderer instrumentaler Musik ging es höchst musikantisch zu – Spielfreude und Spontanität waren hier deutlich zu spüren, auch wich die Besetzung (wie in einem Satz aus Telemanns Pariser Quartetten) von dem ab, was man als »korrekt« gewohnt ist – aber so herrlich frisch bekommt man es selten serviert!
Am Sonnabend stand die Kreuzvesper mit gleich sechs seiner Stücke wieder einmal im Zeichen von Heinrich Schütz – so eine Vielfalt wünschte man sich öfter! In drei klein besetzten Werken zeigten sich die Kruzianer als Solisten, wobei vor allem »Verleih uns Frieden« aus den Symphoniae sacrae II (SWV 354) mit den Sopranen Fabian Anwand, Luis Hauffe und Jonas Pappelbaum berührte. Da wünschte man sich durchaus einen größeren Schütz-Schwerpunkt beim Kreuzchor auch in den anderen Wochen des Jahres!
Doch Heinrich Schütz hat nicht nur sakrale Musik geschrieben. Schon vor drei Jahren hatte Norbert Schuster (Konzept und Leitung) mit der Cappella Sagittariana im Militärhistorischen Museum Dresden Musik zu »Liebe und Krieg« leidenschaftlich ins Verhältnis gesetzt. Aus diesem Programm wuchs ein neues Konzert »Liebe und Verlangen« hieß es am Sonnabend in der Dreikönigskirche, wofür Annette Schlünz eine Neukomposition (am Vortag in Gera uraufgeführt) geschrieben hatte. Zwischen Musik von Schütz, Carlo Gesualdo, Giovanni Gabrieli und anderen setzte sie sieben Sätze zu eigenen Worten sowie aus den Fragmenten Sapphos. Wie schon im letzten Jahr bei Torsten Raschs Musik zu Sieben Elementen der Schöpfung und Heinrich Schütz‘ Lukaspassion war die Neukomposition also direkt auf das Konzertprogramm bezogen, für das neben der Cappella Sagittariana Amarcord gewonnen werden konnte.
Von manchen Begriffen ist kein Gegenteil geprägt, wie beim »Feinbäcker«. So gibt es ein Amarcordplus, aber kein Amarcordminus. Das »plus« war der Sopran von Isabel Schicketanz, die Wolfram Lattke und Robert Pohlers (Tenor), Frank Ozimek (Bariton) sowie Daniel Knauft und Holger Krause (Baß) ergänzte. Ob in voller Stärke oder auf eine kleinere Besetzung reduziert, stellte sich nicht nur die gewohnte Harmonik und Verständlichkeit ein, man kann sowohl Amarcord als auch Isabel Schicketanz mit geschlossenen Augen jederzeit erkennen – wie schön, dies im Konzert wieder zu erleben!
Annette Schlünz‘ »Was die Liebe sehnend begehrt« greift das Begehren der Liebe schon zu Beginn auf, doch zeigte schon hier die in die Atonalität gleitende Musik die Brüchigkeit der Liebe auf. Später zeichnete Schlünz eine rauhe, eisige, gefährdete Welt, der Text wandte sich dem Sterben (dem für jemand Sterben) zu, wurde nicht nur gesungen, sondern gesprochen, geflüstert und gerufen, von den Zinken wirkungsvoll unterstrichen. Interessant wäre, »Was die Liebe sehnend begehrt« einmal ohne die Musik zu hören, für / zwischen die es komponiert ist. So ist es zwar nicht gedacht, doch entwickelt sich in solchen Aufführungen oft eine eigene Kraft.
Die Kontrastwirkung mit den instrumentalen und Chorwerken der Schütz-Zeit war dem Erlebnis sehr förderlich, und es zeigte sich, daß Schütz‘ Musik (»Ego dormi« / »Ich schlafe, aber mein Herz das wacht« SWV 63) kein Jota weniger leidenschaftlich ist als die Werke Sapphos. Voller Leidenschaftlichkeit war auch das Spiel der Cappella Sagittariana, die als Gambenconsort (Giovanni Gabrieli »La spirita«) auftrat oder mit blitzsauberen, erquicklichen Bläsern (Andreas Hammerschmidts Paduana mit Clément Gester und Miroslaw Kuzl / Zink und Robert-Christian Schuster / Dulcian) begeisterte. Und dazwischen, in den phantastischen Madrigalen Carlo Gesualdos, gab es Amarcordpur zum Genuß.
12. Oktober 2020, Wolfram Quellmalz
Das Heinrich Schütz Musikfest erwartet seine Gäste im kommenden Jahr zwischen 7. und 17. Oktober. Dann sind Katharina Bäuml und ihre Capella de la Torre die Residenzkünstler.
Bis dahin helfen CD-Aufnahmen, die Zeit zu verkürzen, wie die Gesamtaufnahme der Chorwerke Heinrich Schütz‘ mit dem Dresdner Kammerchor (Leitung: Hans-Christoph Rademann), die am Sonntag mit einem Opus Klassik ausgezeichnet wird (erschienen bei Carus) oder Lucile Boulangers »Les Defis de Monsieur Forqueray« mit Pierre Gallon (Cembalo), Claire Gautrot (Viola da gamba) und Romain Falik (Theorbe), Musik von Corelli, Leclair u. a. (erschienen bei Harmonia Mundi), eine neue CD mit Sonaten ist in Vorbereitung.