Werke der Komponistenklasse Dresden, nicht nur für Schüler
Seit 1982 gibt es, damals ins Leben gerufen von dem Dirigenten Hans J. Wenzel, in Dresden eine Komponistenklasse, 1991 übernahm seine Schülerin Silke Fraikin die Leitung, seit 2008 ist sie unter dem heutigen Namen wirksam. Neben dem normalen Unterricht gibt es Sommer- und Winterkurse, die »Musikerfindungen« werden überdies gespielt und aufgeführt, etwa vom Landesjugendorchester Sachsen, der Serkowitzer Volksoper und weiteren Partnern. Der Austausch mit anderen Komponistenklassen und die Kooperation mit Interpreten und profilierten Komponisten gehören seit jeher zum Umfang der Tätigkeiten.
Die Werke der Komponistenklasse sind zunächst in den Projektwochen zu hören, vor allem von Mitschülern und Eltern. Nun gibt es mit einem ganz besonderen Büchlein die Möglichkeit, einen Teil der in den letzten Jahren entstandenen Klavierliteratur selbst zu spielen. In der Notensammlung enthalten sind zwanzig Werke von achtzehn jungen Komponisten, sieben davon Komponistinnen. Eines der Stücke, »Le clavier bien préparé« (»Das wohlpräparierte Klavier«), gab dem Band seinen Titel (er ist dreisprachig ausgeführt, im Folgenden werden jeweils nur die deutschen Namen genannt). Der Titel scheint auf Johann Sebastian Bach und sein »wohltemperiertes Klavier« zu verweisen, noch mehr aber bezieht sich die Idee auf Robert Schumann, der die bestehenden Stücke seiner Zeit, welche Kinder in Übungsstunden lernten, so schlecht fand, daß er 1848 das »Album für die Jungend« schrieb.
Nun gibt es ein Neues Album für die Jugend. Es enthält Preisträgerstücke des 2016 anläßlich der Robert-Schumann-Ehrung vom Sächsischen Vocalensemble e. V. bundesweit ausgelobten Kompositionswettbewerbes »Von fremden Menschen und Ländern« sowie weitere, zwischen 2016 und 2019 entstandene Werke der Komponistenklasse. Die musikalischen Ideen entstammen oft der Erlebniswelt der jungen Komponisten und tragen sprechende Namen wie »Vom Tanzbär, der sein‘ Schuh verlor« (Maleah Gilbert), »Kamelritt« (Florian Linhart) oder »Der Wüterich« (Karl Frenzel). Eines heißt sogar »Schmetterlings Tod« (Johannes Conrad), aber es sei gleich versichert: es ist kein »schreckliches« Stück!
Immer »geradeaus« geht es sowieso nicht. So gibt es ein Werk für Klavier vierhändig (»Frühlingslandschaft« von Louis-Victor Wipf), Frida Ponizil schreibt für »Der Hase« auch den Gebrauch von Papier- und Vogelflöte, Butterbrotpapier und anderem vor, was Geräusche erzeugen kann, bei Béla Jeremia Nolls »Waldgeheimnis« wird mit Fingerknöcheln auf das Klavier geklopft. Raphaël Breton hat neben »Das wohlpräparierte Klavier« das Stück »Höllisches Paradies« geschrieben, das ebenfalls die Idee der Präparation aufgreift.
Die Autoren waren zum Zeitpunkt der Komposition zwischen sieben (Melanie Czarny »Der Papagei«) und neunzehn Jahren alt. Im Anhang des Heftes ist nachzulesen, wie sie in die Komponistenklasse kamen und was die Idee zu ihrem Stück war.
Die Noten sind nur mit den notwendigen Zeichen und Texten für Spielanweisung oder Präparation versehen. Helene Scharfe hat ihrer »Safari«, übrigens das Preisträgerstück des Wettbewerbes »Von fremden Ländern und Menschen«, eine Geschichte hinzugefügt, welche bei der Aufführung der Komposition vor und zwischen den fünf Teilen (incl. »Elefantenwalzer« und »Sonnenuntergang«) vorgetragen werden soll.
Die Stücke zeugen vom Einfallsreichtum ihrer Schöpferinnen und Schöpfer, aber auch von handwerklichem Geschick und musikalischen Verständnis, von einer ungeheuren Kreativität sowie von einer großen Ernsthaftigkeit der jungen Autoren – nur »zum Spaß« haben sie die Stücke eben nicht geschrieben. Der Weg von einer Idee (oder einem Bild) zur Musik ist bei vielen ihrer Werke nachvollziehbar, und die Schwierigkeitsstufen sind unterschiedlich, so daß sich für jeden Anfänger (oder etwas Fortgeschrittenen) etwas Passendes findet. (Das gilt übrigens, wie sich bei kleinen Probespielen zeigte, ebenso für manche Eltern der Klavierschüler.)
Das Problem vieler neuer Kompositionen liegt darin, daß sie nach der Uraufführung verklingen, nicht mehr oder höchst selten gespielt werden. Insofern trägt die Veröffentlichung der Stücke durch den Verein Freunde und Förderer der Komponistenklasse Dresden e. V. einerseits zur Verbreitung bei, gleichzeitig erschließt die Anregung zum wieder-Spielen dem Klaviernachwuchs ein neues Stück Literatur.
9. November 2020, Wolfram Quellmalz

Komponistenklasse Dresden »Das Wohlpräparierte Klavier. Neues Album für die Jugend«, 20 Klavierstücke von Kindern und Jugendlichen, Gravis-Verlag, Broschur, Text deutsch, französisch und englisch, Seiten, 17,95 €