Vergangene Woche hätte ein weiteres Konzert des Collegiums 1704 in der Dresdner Annenkirche stattfinden sollen. Es mußte – wie alle Veranstaltungen im November – abgesagt werden. Doch die Prager Musiker um Václav Luks kamen trotzdem nach Dresden und nahmen ein Video auf. Wir hatten Gelegenheit, mit dem Ensembleleiter zu sprechen.

NMB: Heute hätte das zweite Konzert im Rahmen der Musikbrücke stattfinden sollen mit dem Programm, das im September verschoben werden mußte. Und nun darf gar nichts sein – Sie sind trotzdem hier, wie das?
VL: Auch bei uns in Tschechien ist nicht nur das konzertieren, vokal und instrumental, verboten, alle kulturellen Veranstaltungen sind gestrichen, es dürfen sich maximal zehn Personen treffen. Deshalb haben wir gedacht, wir nutzen die Gelegenheit und machen hier in Dresden wenigstens eine Videoproduktion mit dem Programm, das wir für die Eröffnung der Saison geplant hatten und in Madrid, als noch möglich war, gespielt haben. Wir machen eine Aufnahme des kompletten Programms – es sind Stücke, die wir lieben, die Zelenka-Messe ist natürlich ein Kernpunkt in unserem Repertoire. Natürlich darf es keine öffentliche Aufführung sein, aber als Geschenk für das Publikum machen wir wenigstens eine Aufnahme des Programms unter Berücksichtigung der strengen hygienischen Vorschriften – Masken, Abstände und das alles gehört dazu heutzutage. Aber trotzdem kann man gut Musik machen – ich glaube, das Resultat wird eine Erinnerung an diese komische Zeit sein!
NMB: Und wo wird man die Aufnahme sehen können? Sie waren ja während des ersten Lockdowns auf Ihrem YouTube-Kanal, auf kulturadoma.cz sowie im tschechischen Kulturfernsehen ČT Art präsent.
VL: Schlußendlich landet zwar alles irgendwann auf dem YouTube-Kanal, aber unser Konzept ist, eine neue Videoplattform des Collegiums zu gründen, denn wir haben festgestellt, daß das Publikum nicht nur die Erlebnisse vermißt, die Musik, sondern auch die sozialen Kontakte. Natürlich kann man die durch Computer schwer rekonstruieren, aber wir wollen mit der neuen Plattform wenigstens regelmäßig ein neues Programm anbieten, natürlich nicht irgendeine alte Aufnahme einstellen, sondern neue Aufzeichnungen. Wir versuchen jetzt, regelmäßig neue schöne Konzerte aufzuzeichnen und dem Publikum zu zeigen. Dann überlegen wir, einen Raum zu schaffen, wo sich die Leute austauschen können, auch einen Chatroom, wo sie schreiben können. Vielleicht gibt es einmal eine Liveübertragung aus einer Probe – einfach, damit unsere Fans einbezogen werden und nicht zu Hause warten oder auf YouTube nur alte Videos anschauen können, sondern die Lieblingsmusiker hören und sehen können.
NMB: Dieser Kanal wird also auf Ihrer Internetpräsenz verankert?
VL: Genau. Es wird dort eine spezielle Plattform, wir überlegen gerade, wie wir das technisch lösen, das ist alles nicht so einfach.
NMB: Und heute – geht das so einfach, mal eben herkommen, ist die Situation hier sehr anders als in Tschechien?
VL: Es ist ja keine öffentliche Veranstaltung, die wäre nicht möglich gewesen. Aber es ist möglich, aus Tschechien anzureisen nach Sachsen. Wir müssen heute wieder zurück, so wie gestern auch – wir dürfen natürlich nicht übernachten, aber innerhalb von 24 Stunden kann man so eine Aufnahme machen.
NMB: Die beiden Dresdner Konzerte waren nicht die einzigen, die ausgefallen sind, deren Einnahmen Ihnen fehlen. Das Collegium 1704 ist ein freies Ensemble – wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus? Wie geht es den Musikern und Sängern?
VL: Wir haben im Sommer Hoffnung gehabt, daß im Herbst alles wieder normal läuft, und im September tatsächlich auch so begonnen, haben hier »Messiah« gespielt und viel andere Aufführungen in Tschechien gehabt, sogar mit der Missa Solemnis von Beethoven in Prag. Doch das war nur eine kurze Zeit, in der die Konzerte mit Publikum stattfinden konnten. Dann ist ab Oktober wieder in ganz Europa alles abgesagt worden.
NMB: Wie geht es den Mitgliedern von Chor und Orchester? Haben Sie einen Ausgleich? Erhalten Sie staatliche Unterstützung?
VL: Es gibt ein Programm vom Kulturministerium, es gibt eines vom Wirtschaftsministerium, aber die Szene ist sehr breit, nicht nur jeder Musiker, jeder Künstler ist ein spezieller Fall, da ist es schwierig, alle abzufangen. Deshalb gibt es viele, die durch diese Hilfsprogramme einfach durchgefallen sind, da ist die Situation einfach nicht erfreulich. Die Unterstützung ist so, daß man davon eigentlich nicht überleben kann – es ist eine kleine Hilfe. Für Kulturinstitutionen wie uns gibt es aber auch Unterstützung, deswegen dürfen wir auch diese Videoproduktion aufnehmen, die natürlich Geld kostet und ohne Publikum um so schwieriger ist.
NMB: Keine Pläne machen ist ja auch keine Lösung – wie sind die Aussichten? Bleibt uns die Hoffnung auf mehr, als daß es im Dezember weitergeht, gibt es eine Chance, die beiden ersten Konzerte doch noch nachzuholen?
VL: Wie man sagt – Konzerte werden nie gestrichen, die werden nur verschoben, aber ins ungewisse … Es wurde sehr viel verschoben in die nächsten Jahre. Wir versuchen, die Konzerte, die wir in Dresden nicht machen konnten, auf die nächstmöglichen Termine im Frühjahr oder Herbst zu legen, damit unsere Freunde nichts verpassen. Natürlich ist es auch schwierig, fix zu planen, weil keiner weiß, wie lange die Situation anhalten wird. Wir wissen nun, daß es bei uns (in Tschechien) mindestens bis Ende des Jahres keine öffentlichen Konzerte geben wird.
NMB: Dabei gibt es ja eigentlich viel Grund zur Freude: Sie feiern in dieser Woche (am 14. November) Geburtstag – blicken Sie zurück, ziehen Sie Bilanz?
VL: Ich bin nicht so jemand, der immer zurückblickt. Wobei es speziell ist bei uns im Ensemble – gerade im November gibt es viele Leute, die Geburtstag haben, sogar am gleichen Tag wie ich (gleich zwei weitere). Die Zeit des Skorpions ist eigentlich sehr lustig, weil man jeden Tag irgendwie Glückwünsche äußern kann. Aber ein großes Fest plane ich nicht.
NMB: Es ist ja kein unbedeutendes Datum, auch andere haben an diesem Tag Geburtstag, wie Leopold Mozart …
VL: Ja, aber auch der Dresdner Tenor Eric Stoklossa!
NMB: … Vater Beethoven, Johann Nepomuk Hummel und Aaron Copland.
VL: Ah, das wußte ich nicht.
NMB: Der (Aaron Copland) steht also demnächst nicht auf Ihrem Programm?
VL: Nein. (lacht)
NMB: Damit kommen wir zur schwierigsten Frage, der nach dem Ausblick, dem nächsten Konzert, das stattfinden darf.
VL: Wir wissen nicht, wann das wird. Die nächsten öffentlichen Auftritte in Tschechien sind im Januar. Das Neujahrskonzert ist noch offen, wir überlegen gerade, Mitte Januar eine Variante des Konzertes zu spielen, was für Silvester geplant war, mit der Krönungsmesse und der g-Moll-Sinfonie von Mozart, weil wir das hoffentlich Ende Januar bei der Salzburger Mozartwoche spielen. Das soll das Abschlußkonzert der Mozartwoche werden und war ursprünglich auch mit dem Vocalensemble gedacht, aber das ist in Salzburg erst einmal gestrichen. Deshalb machen wir ein reines Orchesterprogramm, aber mit Mojca Erdmann als Solistin. Mozarts Musik wird um seinen Geburtstag herum unser neues Leben starten – hoffentlich!
NMB: Aber noch einmal konkret zu Dresden: Das Neujahrskonzert ist offen, was wäre, wenn Sie im Dezember hier spielen dürften, in Prag aber nicht [die Konzerte der Musikbrücke Prag-Dresden finden eigentlich immer an beiden Orten statt und sind wirtschaftlich auch auf diese beiden Teile angewiesen, Anm. d. Red.]?
VL: Dann würden wir hier spielen!
10. November 2020, Wolfram Quellmalz
Das nächste Konzert »Santissimo Natale« der Musikbrücke Prag – Dresden steht für den 21. Dezember (19:30 Uhr, Annenkirche) im Plan. Es sollen weihnachtliche Werke von Corelli, Stradella, Scarlatti und Caresana erklingen. Weiter Informationen unter: http://www.collegium1704.com