Kreuzvesper am Vorabend des Ewigkeitssonntags
Nach dem Deutschen Requiem vor Wochenfrist stand am gestrigen Sonnabend in der Kreuzkirche Dresden (musikalisch) noch einmal Johannes Brahms musikalisch im Mittelpunkt. Nun allerdings nicht mit dem Kreuzchor, sondern mit dem Bariton Andreas Scheibner, Konzertbesuchern seit vielen Jahren nicht zuletzt aus Liederabenden und Oratorien bekannt. Mit den Vier ernsten Gesängen Opus 121 von Johannes Brahms verbanden sich die Formen von Liederabend und Vesper passend und wohltuend. Wesentlichen Anteil daran hatte Kreuzorganist Holger Gehring. Nachdem er in der vergangenen Woche ein ganzes Orchester an der Jehmlich-Orgel ersetzt hatte, war er nun ein äußerst einfühlsamer Begleiter und zeigte, welch leise Töne und feingewobenen Stimmungshintergrund das große Instrument hervorbringen kann. Andreas Scheibner und er agierten dabei von der Orgelempore.
Nicht die Unermüdlichkeit der Schaffenskraft (wie noch dreißig Jahre zuvor beim Deutschen Requiem) ist es gewesen, die Johannes Brahms in die Feder geflossen war – die Vier ernsten Gesänge sind, gemeinsam mit den Elf Choralvorspielen Opus 122, die letzten Worte Brahms‘, Worte, die der Komponist angesichts der Erkrankung und des Todes Clara Schumanns und wohl ebenso mit Gedanken an das eigene Ende formulierte.
Erneut erwies sich die große Orgel als anpassungsfähig und wandelbar. Sie vermochte düstere Stimmungen zu betonen wie feine Sonnenfäden zu spinnen, wie im zweiten der Gesänge. Statt sinfonischer Dichte sorgte Holger Gehring diesmal für Feinheit wie in einer Klavierbegleitung, aber auch für eine weit oben (fast sphärisch) bzw. unten (als sicheres Fundament und Stütze) liegende, emphatische Stimme, die aber den Sänger nie überdeckte.
Andreas Scheibners Kunst ist sowieso über jeden Zweifel erhaben, selbst dann, wenn er von weit oben ins hallende Kirchenschiff singt. Dem Text zu folgen war leicht, zudem gewann die Interpretation noch deutlich an Intensität. Und zwar ausdrücklich in beiden Teilen (Gesang und Begleitung), ohne jedoch übermäßig zu wachsen, was angesichts des Zeitpunktes im Kirchenkalender (vor dem Ewigkeitssonntag) als mehr als angemessen empfunden werden konnte. Andreas Scheibner blieb in Diktion, Gestaltung und Ausstrahlung berührend und verlieh Brahms‘ letzten Liedern eine zutiefst menschliche Stimme – das hätte in einem Liederabend kaum besser gelingen können.
Holger Gehring ergänzte das Programm um acht Choralvorspiele aus Opus 122. Es waren unterschiedliche Formen des Abschiednehmens, der Getragenheit, aber auch der zuversichtlichen, freudvollen Hinwendung – eine tiefe Nachdenklichkeit, die in Wort und Musik den Jahresausklang würdig faßte.
22. November 2020, Wolfram Quellmalz
Nächste Veranstaltungen in der Dresdner Kreuzkirche: Orgel Punkt Drei (24. November, 15:00 Uhr), Adventsvesper des Kreuzchores (28. November, 17:00 und 19:30 Uhr Uhr). Am 29. November beginnen die adventlichen Andachten der Striezelmarktmusik (bis 10. Dezember, jeweils 17:00 Uhr, freier Eintritt), weitere Informationen unter: http://www.kreuzkirche-dresden.de