Vesper im Dom zu Meißen
In Monaten, die nach dem Kirchenkalender mit besonderen Zeiten und Werken verbunden sind, fehlt uns deren Musik besonders. Das war zur Passionszeit nicht anders, als es jetzt im Advent wieder ist – wer mag sich schon ein Weihnachten ohne Weihnachtsoratorium vorstellen? Für professionelle Künstler fallen damit wichtige Auftritte und Einnahmen weg, aber auch die Gemeinden, Kantoreien und Chöre kommen um ihre mit viel Engagement vorbereiteten Jahreshöhepunkte. Manchmal findet sich jedoch ein Kompromiß, ein kleiner Ausgleich.
Im Dom zu Meißen gestalteten am Vorabend des 1. Advent der Domchor Meißen und die Domkurrende Meißen eine Vesper mit Ausschnitten aus dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Eigentlich hätten die Kantaten 1, 2 und 6 in einem Konzert erklingen sollen, nun waren wichtige Chöre und Arien zu hören. Die Partner aus dem ursprünglichen Programm, Heidi Maria Taubert / Sopran, Edith Maria Breuer / Alt, Florian Neubauer / Tenor und Vincent Hoppe / Baß sowie das Dresdner Barockorchester, standen auch für die Aufführung im Vesperformat zur Verfügung. Die größte Schwierigkeit lag aber vermutlich nicht in der Kürzung, sondern in der Verteilung, denn die Sänger und Musiker saßen bzw. standen im Hohen Chor und darunter (hinter dem Altar). Insofern sei Domkantor Thorsten Göbel und allen Beteiligten großes Lob dafür ausgesprochen, daß Gesang und Musik trotzdem so gut zusammenfanden und nicht (auch bei den hinten sitzenden) auseinandergezerrt oder zeitlich versetzt zu hören waren.
In der kleinen Besetzung und mit den räumlichen Barrieren war natürlich trotzdem manche Dämpfung spürbar. Gerade dem »Jauchzet, frohlocket« und später dem Eingangschor »Ich freu mich in Dir« aus Kantate BWV 133, so schön sie gelangen, fehlte es an ausgestrahlter Zuversicht. Diese war um so mehr in den Chorälen enthalten. »Wie soll ich dich empfangen« und »Ach mein herzliebes Jesulein« sowie der Schlußchor der sechsten Kantate aus BWV 248 waren mit Hingabe vorgetragen!
Das Dresdner Barockorchester in kleiner Besetzung ergänzte mit sinnlichen Solostimmen die Sänger, »befeuerte« mit kräftigen Paukenschlägen den Eingangschor und sorgte dafür, daß nicht nur der Stern über dem Hohen Chor leuchtete. Gerade bei den Gesangssolisten war eine große Emphase spürbar. Edith Maria Breuer gab der Arie »Bereite dich, Zion« mit lebhafter Betonung einen großen Teil Vorfreude mit, sehr schön und mit viel Leuchtkraft gelang das mit dem Choral »Wer will die Liebe recht erhöhn« verschlungene Rezitativ »Er ist auf Erden arm«. Heidi Maria Taubert sorgte hier mit zartem, aber durchdringenden Sopran für Lichtaffekt, während Vincent Hoppe dem Choral sozusagen die Wärme der Umarmung mitgab. »Großer Herr und starker König« versah er gleich darauf mit kräftigem, atemspendenden Vibrato.
Mag die Geschlossenheit des ursprünglichen Programms gefehlt haben, so gelang doch eine berührende Vesperveranstaltung. Wer danach vom Domberg herabstieg, konnte noch das Läuten der Meißner Kirchen und die Bläser auf dem Turm der Frauenkirche genießen.
30. November 2020, Wolfram Quellmalz
Der Dom zu Meißen plant an den kommenden Adventwochenenden Andachten mit Orgelmusik (jeweils Sonnabend, 16:00 Uhr und Sonntag, 15:00 Uhr). Aktuelle Informationenunter: http://www.dom-zu-meissen.de