Klaviersonaten der Beethoven-Zeit

Jean Efflam Bavouzet beginnt neue Edition

Ludwig van Beethovens Klaviersonaten gelten gemeinhin als das Opus magnum der Klavierliteratur (Jean Efflam Bavouzet vergleicht ihn im Beiheft mit einem Himalaya-Gipfel). So richtig dies ist, so falsch wäre es, sich auf diese allein zu konzentrieren und die Sonaten anderer nicht mehr zu beachten. Schon wenn man sich vorstellt, die WerkeMozarts, Schuberts oder Scarlattis nicht mehr zu hören, wird deutlich, wie abwegig eine solche Idee ist.

Jean Efflam Bavouzet räumt solches Ansinnen dadurch aus, daß er seine Beethoven Collection mit einem Album beginnt, das vier Sonaten vereint, die allesamt nicht von Beethoven stammen, aber von Zeitgenossen, von Komponistenkollegen und Virtuosen, solchen, die Beethoven kannte, heute vielleicht vergessen sind, die aber das Musikleben in Wien (und darüber hinaus) wesentlich beeinflußten. Wie Johann Nepomuk Hummel, jenen Virtuosen, dessen Auftritte sich im Glanz mit denen Liszts messen konnten.

Joseph Wölfl, der noch bei Vater Mozart und Michael Haydn Unterricht erhalten hatte, war einer der Virtuosen der Zeit und forderte sogar Beethoven (im Konzert) am Klavier heraus – heute ist sein Name fast vergessen. Nur wenige Aufnahmen seiner Werke gibt es, Jean Efflam Bavouzet hat ihnen nun die Sonate Opus 33 Nr. 3 hinzugefügt. Glänzend und brillant im Charakter beginnt das einleitende Allegro energisch mit einem eingängigen Fanfarenmotiv, daß jedoch spielerisch aufgelöst wird – den Wechsel von vorantreibendem Rhythmus‘ und unterhaltsamer, anspruchsvoller Virtuosität streicht Jean Efflam Bavouzet nuanciert heraus. Dem folgen ein fast arioser, knapper zweiter Satz und ein heiteres, liedhaftes Rondeau.

Mit Muzio Clementi, Hummel und Jan Ladislav Dussek schließen sich Sonaten von drei der bedeutendsten Komponisten und Virtuosen der Beethoven-Zeit an. Clementi verlegte darüber hinaus zum Beispiel Werke Beethovens in London. Sein Opus 50 Nr. 1 ist weniger von Eingängigkeit geprägt (wie Wölfl), sondern fächert sich sogleich komplex auf – nicht punktierte Rhythmen tragen sie, sie verlangen nach Schattierung und Auslotung. Jean Efflam Bavouzet vertieft sich darin, steigert dies sogar noch im dreiteiligen Mittelsatz, der mit seiner in sich gekehrten Stimmung und mit einer Struktur überrascht, deren Reinheit manchmal sogar an Bach denken läßt.

Johann Nepomuk Hummels Kompositionen, zumindest seine Klavierkonzerte, sind in den letzten Jahren glücklicherweise wiederentdeckt worden. Seine Sonate f-Moll (Opus 20) zeigt zwar, daß er in der »Mode« eher Mozart folgt als Beethoven vorausgeht, doch ist sie auch ein schönes Beispiel für seine Originalität, die der Pianist hier mit Präzision und Eleganz aufpoliert – um sich in der Dramaturgie des dritten Satzes Beethoven dann doch beträchtlich zu nähern.

Mit einer erfrischenden Wiederentdeckung schließt die CD – Jan Ladislav Dusseks ungewöhnlichem, zweisätzigen Opus 61, das düster beginnt, dann aber den Vorhang zur Seite zu reißen scheint. Doch nicht Schubert stand hier Pate, sondern Prinz Louis Ferdinand von Preußen, der ebenfalls zum Bekanntenkreis um Beethoven gehörte. Auf seinen Tod (in der Schlacht bei Saalfeld) verfaßte Dussek die harmonische Élégie. Einfühlsam und zart folgt Bavouzet dem Werk – die CD, die so kraftvoll und »zielgerichtet« begann, zeigt mehr und mehr die sensible Seite des Pianisten, der hier den Übergang vom Schatten zum Licht ebenso bedachtsam wie beherzt modelliert und den zweiten Satz spielerisch brillant anschließt.

Als kleines Extra fügt Jean Efflam Bavouzet noch fünf »Illustrationen« an, Passagen aus den Werken, in denen der Pianist noch einmal Ähnlichkeiten aufzeigen möchte.

Oktober 2020, Wolfram Quellmalz

(Der Beitrag ist in leicht gekürzter Form bereits in Heft 38 enthalten.)

Jean Efflam Bavouzet spielt Sonaten von Clementi, Dussek, Hummel und Wölfl, Teil 1 der Beethoven Collection, Jean Efflam Bavouzet (Klavier / Yamaha CFX), erschienen bei Chandos

mittlerweile gibt es Teil 2 der Beethoven Collection, mit allen Klavierkonzerten (mit dem Swedish Chamber Orchestra, Leitung: Jean Efflam Bavouzet, 3 CDs), erschienen bei Chandos

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