Andrea Lucchesini schließt Zyklus mit Spätwerk ab
In Heft 34 hatten wir die erste CD Andrea Lucchesinis mit Spätwerken von Franz Schubert besprochen, nun schließt er das Projekt mit dem dritten Teil ab. Darauf enthalten sind die Sonaten G-Dur (D 894) und c-Moll (D 958). (Die beiden nachfolgenden entstandenen Sonaten finden sich auf den CDs Nr. 1 / A-Dur / D 959 und Nr. 2 / B-Dur / D 960.) Wieder hat sich der italienische Pianist in den Leibnitz Saal des Hannover Congress Centrum zurückgezogen, wieder findet er zu einem ruhigen, ausgeglichenen, gleichwohl beschwingten Ton, der frei ist von einer sterilen, künstlichen Atmosphäre. Erneut gelingt es Lucchesini, für Schwebungen zu sorgen.
Das Molto moderato e cantabile der »Fantasia« genannten Sonate D 894 versetzt den Hörer sogleich in die Stimmung einer goldenen Abenddämmerung. Mit Wärme und Sensibilität läßt Lucchesini die Melodie über einem sanften Baß wachsen, der sie stützt, hin und wieder betonend etwas hervortritt. In seiner Komplexität wächst der Satz, wandelt sich, wird bestimmt durch einen treibenden, pulsierenden Rhythmus, den der Pianist mühelos wieder besänftigt – dieser Satz allein ist schon ein Ereignis!
Ungewohnt leicht kommt das Andante daher, bei Andrea Lucchesini hat es einen eher plaudernden Charakter, verweilt ein wenig, bleibt aber in Bewegung. Wie schon im ersten Satz gelingen die dramatischen Verwerfungen munter, werden sogleich geglättet, kehren – noch munterer mittlerweile – wieder und erfrischen den Zuhörer noch mehr. Gleichwohl bleibt ein in sich gekehrter Gestus erhalten. Selbst im Allegro des Menuettos wird Schubert nicht extrovertiert, nein, »moderato« lautet die Spielanweisung ergänzend, Andrea Lucchesini folgt dem gewissenhaft, hält Spannung und Gediegenheit aufrecht. Im letzten Satz steigert sich Schubert, mehrfach, verschachtelt, mit einer freien, an ein Impromptu oder ein Stück aus den Moments musicaux erinnernden Lebhaftigkeit.
Mit der drittletzten Sonate Schuberts ergänzt Andrea Lucchesini die »Fantasia« faktisch mit einer Gegenwelt. Sie ist deutlich expressiver, näher an Beethoven, doch hier zählt auch die Feinheit der Artikulation, das Bändigen des Impulses, der nicht losprescht, sondern etwas auslöst, sich entwickelt, ein Ziel sucht. Dorthin treibt im Allegro Schubert stetig, Ruhemomente inbegriffen. Das liedhafte Adagio ist um so mehr ein Moment des Innehaltens. Wiederum beweist Andrea Lucchesini Sinn für das rechte Zeitmaß, läßt Phrasen ausklingen, verharrt aber nicht im Stillstand. So wächst der Satz – wiederum wandelt er sich dramaturgisch – wird vom anschließenden Menuetto aufgelockert, einem Menuetto freilich, das eher einem Intermezzo entspricht. Zum Ziel, zum Finale, strebt Andrea Lucchesini, und je näher er diesem kommt, desto bestimmter wird Schubert, der nachdrücklich – höchst lebhaft – sein Ziel erreicht. Noch einmal schenkt der Pianist seinen Zuhörern eine Erfrischung, bietet Schuberts köstliche Abschweifungen dar – eine Aufnahme für Schubert-Gourmets, man darf gespannt sein, was nun folgen wird.
(Der Text ist in einer leicht gekürzten Fassung bereits in Heft 38 enthalten.)
