… noch eine neue CD
Bis zu einem runden oder halbrunden Jubiläum bzw. einem Gedenktag müssen wir noch etwas warten – wie schade! Denn Georg Philipp Telemann (1881 bis 1767) lohnt es immer wieder, entdeckt zu werden. Und zwar nicht nur im Verhältnis zu seinen beiden »Rivalen« Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel oder in bezug auf sein Patenkind, Bachs zweiten Sohn Carl Philipp Emanuel, sondern schlicht wegen seiner Musik. Telemann ist an Originalität unerreicht – aus der Tatsache, daß es ihm in seinem langen Leben möglich war, eine stattliche Zahl an Werken zu schreiben, sollte man keinen »verdrehten Vorwurf« machen oder gar ein Urteil fällen. Sowenig wie Vivaldi 600 mal das gleiche Konzert komponiert hat, wiederholt sich Telemann in seinen Ouvertüren, Sinfonien oder Kantaten, und nicht nur seine Pariser Quartette sind ergötzlich!
Viele Werke bedeuten hier also Reichtum und Vielfalt, stellen wir fest, eine Vielfalt, wie wir sie in der Pflanzenzüchtung, in den Formen und Farben wundervoller Blüten wiederfinden – der Blumenfreund Georg Philipp Telemann (er soll beträchtliche Summen in seine Tulpen investiert haben) würde uns sicher zustimmen. Carin van Heerden wohl auch, sonst hätte sie mit dem von ihr mitgegründeten L’Orfeo Barockorchester nicht eine neue CD beim zum Versandhändler JPC gehörigen Entdeckerlabel Classic Produktionen Osnabrück (Nr. 10305018) vorgelegt.
Drei Ouvertüren-Suiten Telemanns vereinigt die Aufnahme. Sie zeigen sich festlich, höfisch, aufgeschlossen und lichtvoll – wie geschaffen, um eine neue Zeit, ein neues Jahr damit zu beginnen. Alle drei Werke sind unterschiedlichen Gruppen entnommen und differieren damit auch hinsichtlich ihrer instrumentalen Besetzung (TWV 55:G1 / G-Dur für Streicher und Basso continuo, TWV 55:B13 / B-Dur für zwei Oboen, Streicher und Basso continuo, TWV 55:G5 / G-Dur für zwei Oboen, Fagott, Streicher und Basso continuo).
Carin van Heerden, die den Stab von der Ensembleleiterin Michi Gaigg übernommen hat, ist selbst Blockflötistin, doch führt dies nicht zu einer Bevorzugung der Holzbläser. Vielmehr wahrt sie eine geschlossene Form, das L’Orfeo Barockorchester tritt stets als Einheit auf, aus deren Mitte die Solisten kommen, aber immer umfaßt bleiben. Die Tempi variieren von spritzig, geschwind bis gemächlich schreitend, bewahren also immer den guten höfischen Ton oder den tänzerischen Charakter. Niemals scheinen sie gehetzt oder überdehnt langsam. Statt funkelnder Kontraste setzt van Heerden auf Geschmeidigkeit und einen wohltuenden Klang.
Die Solisten sind superb und runden einen glanzvollen Auftritt ab, der ohne die Extravaganz der Konzertform auskommt und ein angemessener Beitrag zur Erschließung des reichen Telemann-Œuvres ist. Die Artikulation von Bläsern und Streichern ist fein wie perlender Sekt – wahrlich ein Neujahrsgruß!
22. Dezember 2020, Wolfram Quellmalz
bereits erschienen: Ouvertüren-Suiten TWV 55:a2, TWV 55:F14 und TWV 55:Es2, Ouvertüren für Bläser, Violinkonzerte und weitere