Gebremst? Unternehmungslustig!

Dresdner Cellistin Anna Skladannaya bricht zu neuen Zielen auf

Anna Skladannaya im Festsaal des Dresdner Marcolini-Palais, Photo: NMB

Anna Skladannaya wurde in Moskau geboren und stammt aus einer Musikerfamilie und erhielt schon früh ihren ersten Musikunterricht. Bereits mit fünf Jahren begann sie ein Cellostudium, mit elf debütierte sie im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums. Zweitausenddreizehn kam Anna Skladannaya nach Dresden in die Klasse von Prof. Emil Rovner an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber. Nach einem 1. Preis beim All-Russian Competition of Orchestra Artist gehörte sie im vergangenen Jahr zu den Stipendiaten, die vom Wagner-Verband Dresden nach Bayreuth gesandt wurden [NMB berichteten]. Im Herbst hatte sie eine Stelle als Praktikantin des WDR Funkhausorchesters Köln erobert, doch im Frühjahr war damit plötzlich Schluß.

Eigentlich wollten wir das folgende Interview schon im Herbst vor dem ersten Konzert am neuen Wirkungsort der Cellistin veröffentlichen, doch dann … … mußten wir es wieder und wieder überarbeiten. Heute also, als Weihnachtsgruß, ein Zwischenstand:

NMB: Wie war die Zeit in Köln? Sie mußten ja zwischen den Orten von Studium und Orchester pendeln. Das ist sicher anstrengend, oder macht es eher Vergnügen?

Anna Skladannaya: Die Zeit in Köln war eine der glücklichsten in meinem Leben. Es lag nicht nur daran, daß es meine erste »richtige« Arbeit mit Dienstplänen und einer gewissen Sicherheit war. Auch nicht nur an der Zusammenarbeit mit dem WDR Funkhausorchester und der WDR Big Band – die Produktionen und Konzerte waren eine große Herausforderung. Der wesentliche Grund waren meine Kollegen! Diese Menschen haben mir mich selbst geschenkt. Sie haben mich gelehrt zu fragen, keine Angst zu haben vor dem Versuch oder vor Fehlern. Sie waren immer interessiert an meinem Leben, jeder von ihnen hat mir einen Weg zu sich gezeigt. Zum Beispiel Andy Miles, ein Klarinettist und Komponist, mit dem ich das Glück hatte, oft zu diskutieren, was mich wiederum inspiriert hat, zu komponieren. Oliver Wenhold (Solocellist des WDR Funkhausorchesters) hat oft mit mir geübt und mir Ratschläge gegeben fürs Komponieren, von Piotr Skweres (ebenfalls Solocellist beim WDR FHO und Mitglied des Apollon Musagète Quartetts) konnte ich viel über die Gruppenführung lernen, Laura Wiek hat mir gute Tips zur Bogeneinteilung gegeben, mit Jan Michels, der nebenbei auch Pilot ist, habe ich über den Umgang mit Streßsituationen gesprochen. Ich müßte eigentlich noch viele mehr nennen!

Und dann war im März plötzlich Schluß. Gab es eine Übergangszeit oder war von einem Tag auf den anderen alles beendet?

Zuerst gab es eine kleine Übergangsphase. Wir haben noch gehofft, daß wir die Best-of-Tour mit Max Mutzke bis zu Ende spielen können, aber dann wurde sie abgebrochen. Die Isolation, die danach kam, war für mich die schlimmste Sache, die ich überhaupt erlebt habe. Ich habe in dieser Zeit viel geübt und komponiert. Aber ich wurde langsam »verrückt«, denn ohne Auftritte und die Arbeit mit Menschen, Kommilitonen oder Kollegen, hatte ich das Gefühl, ich verliere meine »Spiegelung«. Wenn man als Musiker keine Ergebnisse präsentieren, nicht mehr auftreten kann, existiert man quasi nicht mehr. Ich glaube, daß es wird noch viel Zeit brauchen, bis ich wieder »ich selbst« sein kann.

Sie haben mir früher schon einmal erzählt, daß Sie auch komponieren und in Probespielen auf selbstgeschriebene Kadenzen (zum Beispiel für Haydns D-Dur-Konzert) zurückgreifen. Konzentrieren Sie sich derzeit aufs Komponieren?

Ich habe in letzter Zeit mehrere neue Stücke für ein oder zwei Celli und Klavier und für Cello solo geschrieben, aber nur nebenbei. Momentan konzentriere ich mich weiter auf das Spielen, ich stelle mich anderen gegenüber auch immer als Cellistin vor. Meine anderen Seiten (Komponistin, Studentin, Mensch …) kommen wirklich erst danach – ohne mein Cello bin ich nichts! Trotzdem lassen sich diese zwei Beschäftigungen kaum voneinander trennen: Wenn ich übe, kommen mir zum Beispiel neue Ideen, die ich in eigenen Stücken realisieren kann.

Bei Probespielen spiele ich gern eine selbstgeschriebene Kadenz. Sie ist ziemlich anspruchsvoll geschrieben und hat viele klangliche Effekte – und ich mag sie immer noch sehr! Bisher hat sich das auch gelohnt – letztens habe ich ein Probespiel für eine Akademie-Stelle der Staatsphilharmonie Nürnberg gewonnen …

Gratulation!

… es gab ein Pflichtstück, eben das Haydn-Konzert in D-Dur, wofür ich meine Kadenz verwendet habe, außerdem mußte ich Orchesterstellen spielen. Es war ein ziemlich spannender Tag – davor habe ich fast die ganze Nacht nicht geschlafen, ich war unterwegs und vor allem froh, daß ich es geschafft habe, rauszugehen und konzentriert spielen zu können.

Das Repertoire eines Funkhausorchesters und einer Staatsphilharmonie, die auch Opern spielt, unterscheidet sich ja beträchtlich. Wie wichtig sind Ihnen Repertoire und Repertoiregrenzen?

Ich freue mich sehr, daß ich die Möglichkeit habe, so viele verschiedene Arte der Musik kennenzulernen: von Pop, Rock, Jazz bis zu Uraufführungen der Neuen Musik. Die Oper wird für mich ganz neu sein, das habe ich noch gar nicht gespielt und bin sehr gespannt, wie es sein wird. Auch im Orchesterspiel gibt es andere Nuancen als bei Soloauftritten. Ich würde sagen, daß im Solospiel 80 Prozent der Aufmerksamkeit auf den eigenen Part fällt und nur 20 Prozent auf das Zusammenspiel. Im Orchester sieht die Einteilung der Aufmerksamkeit ungefähr so aus: 70 Prozent gemeinsames Spiel, 15 Prozent Augen auf den Dirigenten und den Solisten, 15 Prozent auf das eigene Spiel.

Joana Mallwitz gehört momentan zu den angesagtesten Dirigenten, also unter allen Dirigenten, nicht nur Dirigentinnen. Sie ist bekannt für ausdrucksstarke Interpretationen, eine vertiefte Werkkenntnis und hochinteressante Ausgrabungen. Was erwarten Sie sich von der Zusammenarbeit mit so einem »Pultstar«?

Ich finde, daß die beste Erwartung ist: nichts zu erwarten, sondern sich sehr gut vorzubereiten. Es ist eine große Ehre, unter der Leitung dieser Dirigentin spielen zu dürfen, allein ein Gespräch mit solchen Leuten ist oft bereichernd. Aber jeder erfolgreiche Mensch ist auch sehr anspruchsvoll – sowohl zu sich, als auch zu den anderen. Das ist letztendlich die Garantie eines Erfolges.

Nun pendeln Sie also nach Nürnberg statt nach Köln. Das Reisen gehört bei einem Musiker einfach dazu, das muß man mögen oder verkraften, oder?

Das Pendeln ist gar nicht so schlimm. Normalerweise versuche ich immer, über Nacht zu fahren, so daß ich die Tage für das Cello nutzen kann. Außerdem mag ich das Gefühl, an verschiedenen Orten zu leben. Und es macht auch nicht müde, denn in jeder der Städte habe ich verschiedene Aufgaben, die sich nicht überkreuzen.

Sie hätten Mitte November eigentlich Ihren ersten Dienst gehabt. Im zweiten Philharmonischen Konzert sollte Augustin Hadelich, der auch schon einmal bei der Dresdner Philharmonie gespielt hat, Solist in Beethovens Violinkonzert Opus 61 sein. Das hat nun nicht geklappt, auch die Premiere von »Der Vetter aus Dingsda« wurde verschoben – wissen Sie schon, wie es weitergeht?

In der heutigen Situation ist es leider noch nicht bekannt – wann genau man wieder auftreten darf. Vorerst ist Theater bis zum 10. Januar geschlossen.

Wie verbringen Sie die Weihnachtstage und den Jahreswechsel? Gibt es ein online-Konzert oder üben Sie Étuden?

Ich habe noch gar keine Erfahrung mit Online-Konzerten gemacht, aber es ist tatsächlich eine tolle Idee! Ich habe vor, viel zu üben, zu komponieren und auch an meiner Lehrmethode etwas weiter zu arbeiten. Die ist zwar nur für Fortgeschrittene Cellisten geeignet, aber ich hoffe, daß ich dank dieser Methode meinen kleinen Beitrag an der Entwicklung des Cello-Spiels leisten kann.

… Fortsetzung folgt.

Neue musikalische Heimat: Nürnberg, Photo: Anna Skladannaya

Das Interview führte Wolfram Quellmalz in vielen Phasen zwischen September und Dezember 2020.

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