Tschechisch-Deutsches Projekt bringt Musik verfemter Komponisten auf die Bühne
Im letzten Jahr startete »Musica non grata«, ein auf vier Jahre angelegtes Projekt, das von der Oper des Prager Nationaltheaters, der Staatsoper Prag und dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland getragen wird. Es will das Prager Musikleben zwischen dem Beginn des 20. Jahrhunderts und der Zeit der Nationalsozialisten in den Bühnenmittelpunkt rücken und wendet sich besonders verfemten Komponisten zu. Im August 2020 wurde es feierlich eröffnet, damals standen das Klavierkonzert von Vítĕzslava Kaprálová, von Alexander Zemlinsky vertonte Psalmen sowie die Tschechische Rhapsodie für Bariton, gemischten Chor, Orchester und Orgel von Bohuslav Martinů auf dem Programm (über das Programmarchiv der Seite nachzuhören), kurz darauf wurden zwei Opern Hans Krásas aufgeführt. Im April hätte Frank Schrekers »Der ferne Klang« folgen sollen.

Von solch großen Besetzungen wie Martinůs Rhapsodie oder gar Opern ist der Kulturbetrieb momentan aber weit entfernt, doch das Projekt geht trotzdem weiter. In diesem Frühjahr wird es mit fünf online-Konzerten, unter anderem mit Musik von Pavel Haas, Erwin Schulhoff und Hans Krása, fortgesetzt. Zum Auftakt gab es am Mittwoch eine Aufführung mit Werken Bohuslav Martinůs. Das Nationaltheater Orchester Prag spielte unter der Leitung von Dirigent Jaroslav Kyzlink in seinem wunderschönen Theatersaal (ohne Publikum) ein Stück aus dem volkstümlichen Ballett »Špalíček«. Es handelt sich um eine der Gesangseinlagen, von Marie Fajtová und dem Orchester mit einem körperreichen Klang und dramatischen Bögen dargeboten. Marie Fajtová Sopran ist üppig und beweglich und malt die slawischen Vokale wunderbar rund aus. Der kleine Ausschnitt (nur etwa vier Minuten) macht neugierig auf das ganze, kaum bekannte Werk.
Um die Bekanntheit Martinůs Serenade H199, welcher der Komponist selbst den Untertitel »Eine kleine Nacht Musik« gegeben hat, ist es da anders bestellt, gehört sie doch zu den beliebtesten Stücken aus dem Œuvre des Komponisten. Die Streicher des Nationaltheater Orchesters sorgen hier für ein tragendes Fundament, über dem sich die Bläser tummeln dürfen, tragen aber manche Schärfung und Zuspitzung bei. Im Kolorit zeigt sich Martinů so volkstümlich wie wandelbar. Vom Untertitel sollte man sich jedoch nicht verleiten lassen – zumindest suggeriert die dem Lehrer Albert Roussel gewidmete Nachtmusik keine Nähe zu Mozart, jedoch spielt sie mit dem Genre vor allem im zweiten Satz, den Jaroslav Kyzlink mit wunderbaren Schattenbildern illustriert. Das scherzohafte Allegretto gewinnt danach die Leichtigkeit und Lebhaftigkeit eines Schmetterlingsfluges.
Bis zum 19. Mai gibt es jeweils mittwochs alle zwei Wochen einen neuen Beitrag des Projektes »Musica non grata« zu sehen. Der folgende (7. April) wird sich Igor Strawinsky zuwenden, dessen Musik ebenfalls als »entartet« galt, in den darauffolgenden Konzerten wird Hans Krása gleich mehrfach mit Werken vertreten sein, außerdem soll ein Kurzfilm über seine Kinderoper »Brundibár« gezeigt werden (21. April). Mit Pavel Haas, Erwin Schulhoff und Jaroslav Pelikán stehen aber auch weitere Komponisten im Mittelpunkt.
Für ein dramaturgisches Gelingen des Projektes sorgen Per Boye Hansen (Künstlerischer Direktor der Oper des Nationaltheaters Prag und der Staatsoper Prag), Karl-Heinz Steffens (Musikdirektor der Staatsoper Prag), Jaroslav Kyzlink (Musikdirektor der Oper des Nationaltheaters Prag) sowie Ondřej Hučín (Chefdramaturg der Oper des Nationaltheaters und der Staatsoper Prag). Die online-Konzerte sind ohne virtuelle Eintrittskarte zugänglich und können auf YouTube weiterhin angesehen werden. Zu den Stücken gibt es jeweils eine kurze Werkeinführung auf tschechisch mit englischen Untertitelten (am Mittwoch von Aleš Březina, Direktor Bohuslav Martinů Instituts Prag), die wichtigsten Angaben dazu sind aber auf der Internetseite des Projektes auch auf deutsch enthalten.
25. März 2021, Wolfram Quellmalz
Zum Projekt, seinem Programm und den online-Konzerten bzw. Videos (zurückliegende Veranstaltungen unter »Archiv«) gelangen Sie über: http://www.musicanongrata.cz/de