Musikschulen wie »Kolibri« versuchen, online zu überleben
Ausschlaggebend für die Entscheidung, die Dresdener Musikschule Kolibri in der Aussiger Straße zu besuchen, war für uns unter anderem der gute, direkte Kontakt von Christine Gretschel zu den Kindern. Die Musiklehrerin versteht es, schon die kleinen individuell zu betreuen und direkt mit ihnen zu kommunizieren – schon bald können die Eltern draußen warten, wenn die Kinder drinnen Musik erleben und machen. Konnten, denn im letzten Jahr mußte Kolibri den Präsenzunterricht einstellen, im Herbst bereits zum zweiten Mal – seit fünf Monaten gibt es keinen Unterricht mehr vor Ort.

Die Räume sind verwaist, Instrumente und ein Nußknacker aus der Voradventszeit stehen verlassen da und warten auf die Rückkehr der Kinder. Wann das möglich sein wird, ist vollkommen offen. Unterrichten kann Christine Gretschel nur online und erreicht nur einen Teil ihrer Schüler, weniger als die Hälfte. Für die ganz Kleinen – gerade hatte sich noch eine Babygruppe zusammengefunden, als alles abgesagt werden mußte – macht das online-Format keinen Sinn. Bei den Größeren gibt es manche, die selbst nicht am digitalen Unterricht teilnehmen wollen oder deren Eltern dagegen sind. In den verbliebenen Gruppen sind zwischen zwei und vier Kinder (sonst bis zu zehn).
Die nehmen aber gerne teil. Man müsse ihnen aber Zeit geben, sich an diese Form des Unterrichts zu gewöhnen, sagt Christine Gretschel. Das dauere durchaus zwei … drei Monate, diese Geduld sollten die Eltern aufbringen. Und die technischen Voraussetzungen haben. Aber nicht jeder mag bedenkenlos an Skype teilnehmen. Also müssen andere Plattformen genutzt werden – Technik und digitale Vernetzung werden wichtig und manchmal zu Hürden, welche der Musiklehrerin zusätzliche Aufwendungen abverlangen.
Die Nachteile des digitalen Formats bleiben bestehen: die Ablenkung (wie umherliegendes Spielzeug) ist zu Hause größer als in der Musikschule. Auch die Voraussetzungen hinsichtlich der Instrumente sind keineswegs so reichhaltig wie im Klassenraum in der Aussiger Straße, wo es von Glöckchen, Trommeln und Triangeln bis hin zu e-Pianos alles gibt; darüber hinaus sind die Heiminstrumente manchmal verstimmt (Klaviere), haben einen blechernen Klang oder sind spieltechnisch nicht nuanciert (Keyboards). Vor allem aber kann man am Klang wie hinsichtlich von Fingertechnik oder Körperhaltung online nicht so wirksam arbeiten wie vor Ort.
Das bestätigt Andreas Roth vom Heinrich-Schütz-Konservatorium Dresden. Er ist selbst Hornist, unterrichtet Kammermusik und arbeitet als Fachberater für Blechblasinstrumente in Sachsen. Er betont die Wichtigkeit sozialer Aspekte: Wie geht es einem Schüler? Als Lehrkraft begleite er ihn durch die Pubertät, ist oft einziger erwachsene Vertrauensperson außerhalb der Familie. Daher hat Roth eine ganzheitliche Bildung im Blick bis hin zu dem, was gelesen, wie und welche sozialen Medien genutzt werden. Der direkte Kontakt zum Schüler sei immer noch der beste, um zum Beispiel Haltungsfehler zu korrigieren. Das Prinzip von Vormachen und Nachmachen funktioniere nur oder viel besser, wenn Schüler und Lehrer im gleichen Raum sind. Das ist derzeit aber nur für einen kleinen Teil der Schülerinnen und Schüler möglich. Die anderen werden via Zoom unterrichtet.
Im Herbst hatte sich unter anderem Milko Kersten, Präsident des Sächsischen Musikrats, dafür eingesetzt, dass Musikschulen mit allgemeinbildenden Schulen gleichgestellt werden. Dieses Ziel wurde im November erreicht. Theoretisch könnten Musikschulen jetzt also ebenso wie allgemeinbildende einen hybriden Betrieb aufnehmen. Das setzte jedoch einen entsprechenden Testbetrieb voraus, was derzeit schlicht nicht möglich ist. Musikschulen arbeiten auch nicht mit festen, sondern mit wechselnden Gruppen bzw. im Einzelunterricht. Daher hat man sich an den kommunalen Musikschulen in Dresden und Radebeul darauf geeinigt, Präsenzunterricht für jene zu ermöglichen, die sich auf einen Wettbewerb oder ein Studium vorbereiten, für die anderen gibt es online-Unterricht. Das sei gerade für die Kleinen ganz hart, meint Andreas Roth, neben den Musikschülern gebe es ja zum Beispiel noch die Tanzsparte. Den vielen Nachteilen der derzeitigen Situation gegenüber kann Christine Gretschel zumindest einen Vorteil erkennen: die instrumentalen Schüler, die sich bisher darauf verlassen haben, die Noten im Unterricht erklärt zu bekommen, müssen sich nun zwangsläufig selbst damit befassen, und das funktioniere wunderbar. Zu ihrer Motivation trage das aber nicht bei, da seien die Reaktionen der Kinder wichtiger, wenn die sich an „online“ gewöhnt haben und sich zum Beispiel bei einem musikalischen Versteckspiel mit einem fröhlichen „bin wieder da!“ am Bildschirm zurückmelden.
Die Zukunftsaussichten sind unbestimmt. Die Coronahilfen des letzten Jahres hatte Christine Gretschel unter anderem in Werbung investiert und damit manche Interessenten erreicht – dieser Effekt ist nun aber hinfällig. Mit dem Fehlen von Kontinuität, dem Ausbleiben eines Teils der kleinen Besucher und ganzer Altersgruppen fehlt der Anschluss. So besteht die Gefahr, dass ihr musikalisches Bildungsangebot und damit das Geschäft, das sie 2004 übernommen und seitdem aufgebaut hatte »den Bach runter geht« und die privaten Musikschulen irgendwann mit dem Aufbau fast von vorn beginnen müssen.
März 2021, Wolfram Quellmalz