Kreuzvesper vor dem Palmsonntag
Mit Musik zur Passionszeit beging die Kreuzkirche Dresden den Sonntag Palmarum in ihrer Vesper am Vorabend des Beginns der Karwoche. Zwar ohne Gesang diesmal – ohne die Aufführung einer der Passionen Johann Sebastian Bachs sowieso –, sorgte die große Jehmlich-Orgel für eine musikalische Gestalt. Und die fand Thomas Lennartz, der in seiner Amtszeit als Dresdner Domorganist auch am Dresdner Orgelzyklus beteiligt war, in Werken, deren Entstehungszeit weit mehr als dreihundert Jahre überspannte. Manche ließen zugrundeliegende Choräle oder Kirchenlieder deutlich erkennen, andere waren von sinfonischer, fast illustrativer Schönheit.
Die Intrada Robert Jones‘ war nicht nur ein Einzug oder Beginn, sie vermochte mit ihrer ansteckenden Fröhlichkeit auch Herzen und Gedanken zu öffnen – es lohnt immer wieder, auch die vermeintlich unbekannten oder zeitgenössischen Komponisten (oder beides wie in diesem Fall) kennenzulernen. Von Ronbert Jones vollführte Thomas Lennartz den größten Zeitsprung im Programm bis zurück ans Ende des 17. Jahrhunderts, als Johann Pachelbels »Ach, was soll ich Sünder machen« entstanden war. Gleichzeitig stand dem frohen Beginn eine Annäherung an die Passion und das Sterben gegenüber. Viel gedämpfter, aber mit einer Artikulation, in der man fast Vokale und Konsonanten unterscheiden konnte, wechselten die Variationen durch die Strophen des Chorals mit verschiedenen Solisten der Register und mündeten jeweils in der Schlußzeile »Meinen Jesum laß ich nicht«. Nach dem eher gedämpften Beginn ließ Thomas Lennartz mit schlanken Oberstimmen über dem sich steigernden Baß in den Zeilen aber schon etwas Osterlicht aufglimmen.
Nicht nur licht, sondern ausgesprochen farbig ist Marcel Duprés »Crucifixion« aus der »Symphonie Passion«. Auch hier herrschen zunächst dunkle, gedämpfte Klänge vor. Faszinierend ist, wie Dupré fast bildlich einen Kreuzgang und die Kreuzigungsszene gestaltete, wie sich der Weg (bergan) vollzog, wie sich stetiges, schleppendes Vorwärts mit dem Verharren in einem ostinativen Motiv musikalisch-strukturell verankerte. Schließlich wechselte das Ostinato sogar vorübergehend in die Melodiestimme, während die Entwicklung in der Baßstimme lag. Thomas Lennartz gelang eine außerordentliche Wirkung, welche die Kreuzigung als dramaturgischen Höhepunkt herausstrich und einen Trauermoment im Anschluß.
Mit einer eigenen Improvisation gab es danach ein Werk des Organisten selbst zu hören. Thomas Lennartz improvisierte über das Lied »Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken«. Eine zunächst zarte Melodiestimme stand einem aus tiefem Grund, fast unbestimmt wachsenden Baß gegenüber, steigerte sich aber deutlich, bevor die Solostimme wieder leiser, aber deutlich über der Begleitung in einer Schlußzeile verklang. Das Kirchenlied endet mit dem Text »Dein Kreuz, dies sei, wenn ich den Tod einst leide, mir Fried und Freude.« Den dem Osterfest innewohnenden Friedensgedanken griff Pfarrer Holger Milkau später in seinem Wort zum Sonntag auf, den weiten Bogen einer Geschichte, die mit dem Weihnachtswunder begonnen hatte und die das Passionsgeschehen abschloß.
Zum Palmsonntag war der Altar mit Palmzweigen geschmückt, mit Jean Langlais‘ »Dominica in palmis« (»Palmsonntag«) gab es ein weiteres sinfonisches Stück, ein Tongemälde fast, das aber nicht in beschaulicher Beschreibung verharrte, sondern emotional berührte. Mit einem Präludium und Fuge Johann Sebastian Bachs entließ Thomas Lennartz die Vespergemeinde in die neue Woche. In c-Moll (BWV 549) war es noch ein eher gedankentiefes als laut jubelndes Werk.
28. März 2021, Wolfram Quellmalz
Die Kreuzkirche Dresden hat für die Ostertage ein umfangreiches Programm, beginnend mit der »Nacht der Passion« (Gründonnerstag, 21:00 Uhr) und »Karfreitagsliturgie zur Sterbestunde Jesu« (15:00 Uhr), liturgischer Veranstaltungen geplant. Bitte informieren Sie sich unter http://www.kreuzkirche-dresden.de.