Musikalische Unbeschwertheit

Helmut Fuchs erweckt Musik von Oskar Böhme zum Leben

Das Leben des in Potschappel geborenen Oskar Böhme würde auch den Stoff zu einem Krimi oder Thriller hergeben. Einhundert Jahre nach Beethoven auf die Welt gekommen, hätten wir im vergangenen Jahr seinen 150. Geburtstag feiern können. Doch ist nicht gesagt, daß er wegen »der Umstände« nun wieder vergessen würde. Dazu trägt nicht zuletzt eine neue Aufnahme mit vielen Ersteinspielungen bei.

Helmut Fuchs, Solotrompeter der Sächsischen Staatskapelle Dresden, hat sich des Komponisten angenommen und präsentiert gemeinsam mit der Pianistin Lilly Zhang-Sowa eine Auswahl seiner Werke, beginnend mit einem Prunkstück, dem Trompetenkonzert Opus 18. Es wurde in einer Fassung für Trompete und Klavier uraufgeführt (später mit Orchester). Die CD folgt der Transkription von Franz Herbst nach f-Moll (für die B-Trompete, ursprünglich e-Moll / A). Die Ecksätze sind ein virtuoser Parcours, den Helmut Fuchs meisterlich und offenbar mühelos vollführt, Lilly Zhang-Sowa schmückt es mit orchestralen Girlanden am Klavier, das Andante religioso lebt von gesanglicher Hingegebenheit.

Doch was in Oskar Böhmes Leben glich einem Krimi oder Thriller? Er ging, der Liebe wegen, nach Rußland, nach St. Petersburg, wo er zum Orchester des Marientheaters (heute Mariinsky-Theater) gehörte. Als hoch virtuoser Trompeter wurde er da längst europaweit verehrt. Doch die glückliche Zeit währte nur wenige Jahre – schon mit dem Ersten Weltkrieg bereits gab es eine entscheidende Wende. Böhme blieb jedoch, wurde Sowjetbürger, wurde in der Stalinzeit immer wieder verhaftet. Sein Weg »verlor« sich in den 1930er Jahren. Erst 2017 konnte in den mittlerweile freigegebenen russischen Archiven Böhmes tatsächliches Schicksal nachgewiesen werden: Er wurde am 3. Oktober 1938 erschossen und fand sein Ende in einem Massengrab. Sein Leben und seine Geschichte sind heute in Christian Neefs Buch »Der Trompeter von Sankt Petersburg« nachzulesen.

Während das Trompetenkonzert noch vor seinem Rußland-Aufenthalt entstand (gewidmet ist es Böhmes Trompetenlehrer am Leipziger Konservatorium Ferdinand Weinschenk), tragen viele der anderen versammelten Stücke Rußland im Namen oder im Herzen, wie der Russische Tanz Opus 32 sowie eine Soirée und ein Souvenir de St. Petersbourg. Mit dem »Liebeslied« (Opus 22 Nr. 2), einer Berceuse (Opus 7) und einer Serenade (Opus 22 Nr. 1) griff Böhme klassische romantische Formen auf, immer wieder näherte er sich dabei dem Lied oder dem Lied ohne Worte. Helmut Fuchs entwickelt die Singstimme auf seinem Instrument unaufdringlich und einfühlsam – die große Präsenz mancher zeitgenössischer Liedbearbeitungen für Trompete geht ihm wohltuenderweise ab. Er tritt nur dann deutlich in den Vordergrund, wenn es das Stück verlangt, wie im Souvenir de St. Petersbourg, einer Polka Brillante.

Für Vielfalt sorgen nicht nur die Gattungsformen und Varianten, auch in der Begleitung gibt es Wechsel, denn die Soirée de St. Petersbourg wird nicht vom Klavier, sondern von der Harfe (Johanna Schellenberg) begleitet. Zwischendrin gibt es mit La Napolitaine eine flinke Tarantella, ein Bravour- und Zugabestück à la Liszt oder Paganini mit einem schwebenden Mittelteil. Am Schluß kann der Hörer vergleichen: das Lied »Im süßen Zauber« gibt es in der Bearbeitung von Lilly Zhang-Sowa mit Trompete und anschließend im Original gesungen vom Tenor Sebastian Fuchsberger.

März 2021, Wolfram Quellmalz

Helmut Fuchs (Trompete), Lilly Zhang-Sowa (Klavier) »150 Jahre Oskar Böhme. Dresden – Sankt Petersburg«, erschienen bei Thorofon

Christian Neef »Der Trompeter von Sankt Petersburg« (Siedler Verlag)

Schreiben Sie einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Verbinde mit %s