Evangelistenmarathon

Dresdner Kammerchor beginnt zweiteiliges Projekt zu Kreuz und Auferstehung

Schon im vergangenen Jahr hatte Hans-Christoph Rademann in der Dresdner Annenkirche ohne Publikum aus dem situationsbedingten Zwang die Chance gesucht, seinen Chor im runden Kreis aufzustellen und – bei gewahrten Abständen – eine außerordentliche Klangwirkung zu erzielen. In der vergangenen Woche war die Situation ähnlich: das Passionskonzert konnte am Mittwoch nur ohne Publikum stattfinden, wurde aber aufgezeichnet und am Gründonnerstag auf Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlt.

Heinrich Schütz hatte sich erst spät den Passionen zugewandt. Er war bereits fast achtzig, als er seine Lukas-Passion (SWV 480, 1653) schrieb, 1665 folgte die Johannes-Passion (SWV 481), ein Jahr später die Matthäus-Passion (SWV 479). Sie stand im Zentrum des Konzerts, das aber in zwei andere Werke eingebettet war: Michael Praetorius‘ »Da Jesus an dem Kreuze stund« (aus Musae Sioniae III) eröffnete den Abend, Jacobus Gallus »Ecce, quomodo moritur iustus« , das lange Zeit zu den Karfreitagsgottesdiensten gehörte, bildete den Anschluß.

Die Zuhörer am Radio konnten sich so zunächst an der Klangpracht Praetorius‘ Mehrstimmigkeit erfreuen, fast berauschen, sodann folgte Schütz‘ außergewöhnliche Passion. Denn sie wartet nicht mit instrumentaler Farbigkeit oder Turba-Chören auf, sondern fokussiert das Geschehen auf die Erzählung des a cappella vortragenden Evangelisten. Hans-Christoph Rademann findet die späten Werke Schütz‘, ihre ausgedünnte Kompositionsweise, die reduzierte Form nach wie vor faszinierend. Um dies zu erfahren, meint Rademann, genüge allein achtsames Hören, eine »Vorbildung« sei nicht nötig.

Für den Tenor bedeutet dies einen fast einstündigen Marathon, dem Georg Poplutz aber ohne zu straucheln nachkam, ohne in Diktion oder Ausdruck nachzulassen, auch ohne am Ende kraftlos zu wirken. Die wenigen Chöre, eher in einem zurückhaltenden, innigeren Charakter, schlossen die Texte um so schöner ein. Die Solistenrollen füllten Martin Schicketanz (Jesus / Baß), Alexander Bischoff (Petrus / Tenor) und Tobias Mäthger (Pilatus / Tenor) aus.

Mit Jacobus Gallus‘ Passionsmotette fand das Konzert einen vorläufigen Abschluß. In dieser Woche wird es mit Heinrich Schütz‘ Auferstehungshistorie (SWV 50) und Johann Sebastian Bachs Choralkantate »Christ lag in Todes Banden« (BWV 4) fortgesetzt. Das Konzert wird im Konzertsaal der Musikhochschule aufgezeichnet und am 9. April auf dem YouTube-Kanal des Kammerchores ausgestrahlt. Zum Video gelangen Sie über die Seite http://www.dresdner-kammerchor.de.

2. April 2021, Wolfram Quellmalz

Das Radiokonzert kann auf http://www.deutschlandfunkkultur.de/konzert.1090.de.html nachgehört werden.

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