Martin Haselböck beweist, daß Gottfried Silbermanns Instrumente keine Museumsstücke sind
Das keineswegs kleine, in jedem Fall aber feine Fest der Silbermann-Tage ist in vollem Gange. Jeden Tag klingt es in vielen Orten Sachsens, der Silbermann-Wettbewerb sucht aus einer Rekordzahl von Einschreibungen, welche aus dem Nachwuchs der Organistinnen und Organisten die besten sind – am kommenden Sonntag werden die ersten drei Plätze bekanntgegeben. Nach der ersten Runde sind von 29 angetretenen Teilnehmern bislang zwölf verblieben – man darf gespannt sein!
Für Spannung im positiven Sinn sorgte auch Jurymitglied Martin Haselböck, der am Dienstag zu einem Konzert in die Katholische Hofkirche Dresden kam. Dort beschränkte er den Blick auf Silbermann nicht auf eine Pflege des historischen Erbes, sondern setzte auch drei Stücke mit zeitgenössischer Entstehungsgeschichte aufs Programm – mit Gewinn, wie vorab schon festgestellt werden darf.
Einen Schwerpunkt bildeten dennoch Werke der historischen Orgelliteratur, wobei Martin Haselböck hier mit der Salve Regina von Paul Hofhaymer schon sehr früh begann, nämlich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das Thema durchdrang in sechs Teilen den Raum der Hofkirche ausgesprochen unmittelbar – der kernige, direkte, niemals überzogene Charakter führte vor, wie prachtvoll sich häre Motive oder Gesangstexte auf Gottfried Silbermanns letztes Opus (das er selbst nicht mehr vollenden konnte) darstellen lassen. Auch Johann Kaspar Kerlls »Battaglia«, Georg Muffats Toccata VII sowie André Raisons Offertoire »Le Vive le Roy des Parisiens« führten dies trefflich vor. Muffats Stück stand dabei in schönem Kontrast zu seiner Toccata settima, die zwei Tage zuvor in Reinhardtsgrimma erklungen war (Juan de la Rubia), noch eindrucksvoller war die Vielgestalt von Kerlls »Schlachtengemälde« (»Battaglia« = Schlacht). Hier zeigte sich nach einem auftrumpfenden Beginn im Fanfarengestus, daß der Abtausch kreativ und fruchtbar war und keineswegs mit der zerstörerischen, destruktiven Wucht eines Krieges verglichen werden darf.
Beeindruckend war aber auch, wie Martin Haselböck Instrument und Raum in Einklang mit Orgelliteratur des Zwanzigsten Jahrhunderts brachte. Ernst Kreneks Suite »Die vier Winde« führte den in Dresden recht bekannten Komponisten einmal als Schöpfer von Orgelwerken vor (und gab dem Abend ein Thema), noch verblüffender fiel Cristóbal Halffters Ricercare papa Organo aus. Während Krenek die vier Winde aus Ost, Süd, West und Nord ausgesprochen differenziert beschrieb, ihnen einen mehrdimensionalen, aber doch individuellen Charakter aufprägte, fand Cristóbal Halffter in strukturellen Ebenen und Verdichtungen (bzw. Lockerungen, Schwebung und Liegetönen) Klänge, die in ihrer Klarheit ebenso wie in der Modernität beeindrucken. Dafür gab es einen spontanen Applausansatz zwischendurch, der nur deshalb verebbt sein dürfte, weil er den Spannungsbogen unterbrochen hätte und daher vom Publikum nicht aufgegriffen wurde.
Applaudiert wurde schließlich reichlich am Ende, nachdem Martin Haselböck sich noch einmal dem Zeitgenössischen zugewandt hatte. Nach den beiden Stücken, die er schon oft vorgetragen hat (das Stück des im Mai dieses Jahres verstorbenen Cristobal hob der Organist gar aus der Taufe), improvisierte Martin Haselböck schließlich frei über ein Thema (nach einem gregorianischen Chorgesang »In paradiso«), das ihm Albrecht Koch voran vorgegeben hatte. Auf den Hymnus von André Raison folgte damit ein weiteres Stück voller Modernität – bei Silbermann bestens zu Hause – und verschaffte einen würdigen, respektvollen Aus-Klang.
8. September 2021, Wolfram Quellmalz