Vasily Petrenko wurde mit der Dresdner Philharmonie abseits der »Norm« fündig
»Normal« gibt es scheinbar nicht mehr. Nachdem sich die Kultur seit nunmehr zwei Jahren pandemiebedingt im Ausnahmezustand befindet, ist es derzeit schwer, ein Konzert, selbst wenn es wie geplant stattfindet, einfach beginnen zu lassen. Der bange Blick nach Ost schlägt sich in unterschiedlichen Aktionen und Zeichen nieder. Am Sonnabend konnte man im Dresdner Kulturpalast erfahren, wie nahe die Situation den Musikern geht, die vielfach Kontakte und Freunde in der Ukraine und in Rußland haben. So wie Dirigent Vasily Petrenko, dessen Familie in Kiew und St. Petersburg lebt. Robert-Christian Schuster, Stellvertretender Solo-Fagottist und Mitglied des Orchestervorstandes sowie Vasily Petrenko fanden zu Beginn sehr persönliche, berührende Worte, um die Situation aus ihrer Sicht zu schildern, und widmeten das Konzert den Menschen in der Ukraine und allen, die von diesem Krieg betroffen sind, auch den russischen Soldaten.
Das Musik Hoffnung formuliere, in Worte und Töne fasse, das zeige nicht zuletzt Gustav Mahlers »Lied von der Erde«, verwies Vasily Petrenko. Mahlers Orchesterliederzyklus stand im Mittelpunkt des Abends, dem – nachträglich zum 150. Geburtstag – Alexander von Zemlinskys »Sinfonietta« vorangestellt war. In Länge und Anlage vermeintlich »kleiner« (was die Gattungsbezeichnung rechtfertigt) erwies sich das Werk – es sollte Zemlinskys letzter sinfonischer Beitrag sein – als kostbares Tongemälde. Die Dresdner Philharmonie zeichnete unter Vasily Petrenkos Leitung Episoden nach, auf Steigerungskaskaden folgten kurze, besänftigende Soli. Meist jedoch wob Zemlinsky an einem Klang, in dem sich Instrumentengruppen sinfonisch mischten. Eindrucksvoll geriet die Ballade in der Mitte, deren energetischer, erzählerischer Faden nicht riß.
Ob es nun Orchesterlieder, eine Kantate oder, wie der Untertitel meint, eine Sinfonie für Stimmen und Orchester ist, mag akademisch von Belang sein. Die Konzertbesucher hatten ihre Karten wohl mehrheitlich gekauft, weil sie Mahlers »Lied von der Erde« hören wollten.
Vasily Petrenko ließ die Sätze in glühenden Farben nachzeichnen. Mitunter ist Mahler einfach Unmäßig – hätte es nicht »eine Nummer kleiner« sein können? Für Tenor Burkhard Fritz war es teilweise schwer, hörbar zu bleiben. Gleichwohl entfachte Vasily Petrenko eine geradezu szenische Spannung, deren Glut nicht erst bei »Von der Jugend« an die (viel früher entstandenen) »Lieder eines fahrenden Gesellen« erinnerten. In »Der Trunkene im Frühling« konnte sich Burkhard Fritz mit scharfer Deklamation und Schwung sinnig in den derben Witz des Textes steigern.
Ruxandra Donose hatte einen leichteren Stand, wohl auch, weil Mahler ein wenig rücksichtsvoller mit der Altstimme umgegangen war, ihr Raum für Schwebungen ließ. So konnte sich Donoses wunderbares Kundry-Timbre entfalten, hier und da umschlossen von Flöten (Kathrin Bäz), Oboen und Harfen wie im Lied »Der Abschied«. Dabei offenbarte sich eine schiere Fallhöhe, welche das Orchester zwischen Glanz und Fahlheit mit bis zur überladen klingenden Celesta grotesk gezeichnet über einem unwiderstehlichen Abgrund aufspannte. Selbst wenn dies vielleicht momentan unserer Stimmungslage entspricht – etwas weniger hätte wohl genügt.
6. März 2022, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Sonnabend offerieren Marie Jacquot und die Dresdner Philharmonie »Märchenhafte Klänge« von Claude Debussy, François-Adrien Boieldieu und Nikolai Rimsky-Korsakow (19:30 Uhr, Kulturpalast). Weitere Informationen unter: http://www.dresdnerphilharmonie.de