Frischer Wind aus »Schranck Nr. II«

Tempesta di Mare wirbelt durch die Dreikönigskirche

Im allgemeinen verortet man Barockorchester in Europa, schließlich ist die Barockmusik hier zu Hause. Wer sich damit auseinandersetzt, merkt jedoch schnell, daß es zu kurz greift, sie allein auf Europa oder Zentren wie Italien, Deutschland, England und Frankreich zu reduzieren. Mit der Welle der historisch informierten Ensembles entstanden solche auch Boston, Atlanta oder Philadelphia. Das vielleicht bekannteste amerikanische Barockorchester, Tempesta di Mare, holte im März seinen Europabesuch nach und kam nach Leipzig, Berlin und Köthen. Vor dem Abschlußkonzert bei den »Klangfarben« in Magdeburg am Sonntag holte die Dresdner Hofmusik e. V. das Orchester nach Dresden, wo sein Programm am Freitag in der Dreikönigskirche zu erleben war. Richard Stone (Laute) und Gwyn Roberts (Flöten) gehören zu den Gründern und auch hierzulande bekanntesten Vertretern der Szene, Emlyn Ngai (Konzertmeister) teilte sich mit ihnen die Leitung, auf einen expliziten Dirigenten verzichtet das Orchester.

Es war ein von Grund auf Dresdner Programm, denn sämtliche Werke stammten aus Quellen, die in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) erhalten sind. Neuerliche wissenschaftliche Arbeiten förderten gar Europäische (Wieder)erstaufführungen zutage.

Doch ob erstmals oder wiederholt – dieses Programm lohnte allein schon wegen seiner Vielfalt und der exzellenten Darbietung, was sogleich einen Rückschluß auf die Dresdner Hofkapelle hinsichtlich ihrer Aufgeschlossenheit, Vielfalt und Qualität erlaubt bzw. bestätigt.

Konzertgänger wissen längst, daß Georg Philipp Telemann, gegenüber dem Musikarchitekten Bach und dem spektakulären Oratorienerfinder Händel nicht zurückzusetzen ist, sie beide in seiner Innovationskraft wohl übertraf. Davon zumindest zeugten sein Konzert TWV 54:F1und Ouvertüre TWV 55:B11, welche zu Beginn gleich viele Soloinstrumente auftrumpfen ließen. Hörner sorgten für Jagdkolorit, Blockflöten, Oboen und Fagotte waren im munteren Austausch mit den Violinen, wobei sich die Overtüre mit dem Beinamen »La Bourse« (nach der Frankfurter Börse) mit Schlagwerk als noch effektvoller erwies.

Concerto con molti strumenti hätte Vivaldi so etwas vielleicht genannt. Mit seinem Concerto g-Moll (RV 576) gab es eine Kostprobe virtuoser Soli – sie waren damals nicht einfach »à la mode«, sondern für die Mitglieder der Kapelle geschrieben. Tempesta di Mare arbeitete die Stimmen nicht nur präzise heraus, sondern sorgte für einen wandlungsfähigen Orchesterklang, der die Streicherbasis teilen oder sie gleichgewichtigen Bläsern gegenüberstellen konnte.

In einer kurzen, erquickenden Suite Jean-Féry Rebels »Les Caractères de la danse« erwies sich Tempesta di Mare abermals als zielsicher und -bewußt im Maß von Effekt und Präzision. Wie in Johann Friedrich Faschs Concerto für Violine, zwei Traversflöten, zwei Oboen, Fagott, Streicher und Basso continuo, das zeigte, wie prunkvoll die Musik des 18. Jahrhunderts gewesen ist. Ganz ohne eine Best-of-Attitude oder lautstarke Vermarktung bot Tempesta di Mare dann noch eine Europäische Erstaufführung, denn über die Hälfte der Sätze aus Telemanns abschließend präsentiertem Entr‘actes waren erst in den letzten Jahren durch ein Forschungsprojekt über die Instrumentalmusik der Dresdner Hofkapelle zur Zeit der sächsisch-polnischen Union zugeordnet worden.

26. März 2022, Wolfram Quellmalz

Nachhören möglich: Das Konzertprogramm wurde am Sonntag in Magdeburg mitgeschnitten und ist am Dienstag ab 20:05 auf MDR Kultur und MDR Klassik zu hören. Eine CD-Einspielung von Tempesta di Mare mit Werken Georg Philipp Telemanns ist bei Chaconne erhältlich.

Schon im April richtet die Dresdner Hofmusik e. V. Konzerte in der Loschwitzer Kirche und im Landhaus aus, bevor sich im Mai alles um das Barock.Musik.Fest dreht. Weitere Informationen unter: http://www.dresdner-hofmusik.de

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