Maximilian Zech »Aus einer Zeit «
Manchmal, wenn alles paßt, das Leben so behaglich vor sich hin plätschert, verharrt man über längere Zeit in den gegebenen Verhältnissen. Irgendwann ändern sie sich dennoch, weil die Umstände andere sind, weil man unzufrieden ist oder der Behaglichkeit überdrüssig wird. Meistens zumindest ist das so. Doch es gibt auch Menschen, die in dieser Behaglichkeit eine Flucht finden, die einen Mangel oder Verlust damit ersetzen. Dieses Verhalten, zu dem auch Kompensation oder Substitution gehören können, wird dabei meist gar nicht bewußt in Gang gesetzt, es ergibt sich vielmehr, weil ein Mensch Wünschen oder Ausflüchten folgt oder aber Entscheidungen und Veränderungen vermeidet. In Partnerschaften ist so etwas problematisch, kann zur Entzweiung, zum Bruch führen.
Leseprobe:
Immer wieder blitzt ganz kurz etwas auf: das Blau des Himmels, der Ast eines Kastanienbaums, eine frisch gestrichene Hauswand. Dann schießt ein greller Sonnenstrahl in das Zimmer und landet auf meinem Schreibtisch, wo er nach kurzer Lebensdauer verendet. Geräusche stiegen hoch zu mir wie Düfte. Autos auf der Straße, Vögel in den Bäumen, Schritte auf dem Gehweg, Glocken in der Ferne.
Matthias scheint so ein Mensch zu sein. Der Verlust seiner Mutter vor vielen Jahren hat ihn schwer getroffen, mehr, als er selbst es sich damals, als Jugendlicher oder später, vielleicht eingestehen wollte. Sein Vater fing ein neues Leben an, gründete eine neue Familie, Matthias hat nur noch sporadisch Kontakt zu ihm. Er selbst ging aus seiner Heimat weg, fand eine neue in Göttingen. Hier studierte er Medizin, doch anders als seine Kommilitonen, die von hier in die Welt gingen, blieb Matthias da, sogar in der Wohnung, die er schon als Student hatte – damals lebte er mit Maja hier. Sie hat sich von ihm getrennt, ging nach ihrem Studium an ein Krankenhaus in Hamburg. Matthias blieb als Facharzt da, behandelt jetzt Menschen mit Krebserkrankungen. Doch verwurzelt scheint er nicht zu sein. Matthias nimmt zwar am Leben teil, ist aber gleichzeitig oft mehr Beobachter als Teil des Geschehens.
Ich stelle mir vor, dass wir im Moment unserer Geburt aus nichts als Zukunft bestehen – die wir dann im Laufe unseres Lebens wie einen Treibstoff allmählich verbrauchen und in Vergangenheit umwandeln. So lange, bis wir nur noch Vergangenheit sind. Zwischen diesen zwei Augenblicken liegt ein ganzes Leben, ein Nichts und eine Ewigkeit.
Zunächst noch wie schwerelos gleitet der Text durch Matthias‘ Leben, doch es beginnt sich – von außen – zu ändern. Unmerklich scheinen sich die Dinge zu ändern. Noch unbestimmt zunächst, führen sie zunächst zu Fragen – was wurde aus Maja? Schließlich, ja sogar plötzlich und spontan macht sich Matthias auf den Weg, ein Aufbruch, der einer Flucht gleicht. Seine Ziele liegen zunächst in der Vergangenheit, an Orten, die er bereits besucht hat oder von früher kennt.
Doch ich bemerke eine Veränderung an mir, die ich schon oft beobachtet habe. Das Mitgefühl, das ich eben noch empfand, ist fort, und an seine Stelle tritt – nichts. Nur eine schweigende Leere, ein beschämender Gleichmut.
Es ist besonders die Leichtigkeit, die Nonchalance, welche die Schwebung der Geschichte erhält. Gleichzeitig sind aber die prägenden Kapitelüberschriften etwas überladen, ebenso wie die Geschichte einer einzelnen Patientin. Sie ist zwar – als Auslöser – für Matthias wichtig, das Buch, das letztlich dem Helden folgt, gerät damit aber manchmal aus der Balance. Dafür bezaubert es immer wieder mit einer geradezu poetischen Schilderung der einfachsten (oder vielleicht wesentlichsten) Dinge des Lebens.
»Die Gleichgültigkeit. Das ist die Krankheit unserer Zeit. Unser mal du siècle. …«
Die Unbestimmtheit aber erhält Maximilian Zech seiner Geschichte bis zuletzt. Nicht nur einmal möchte man eingreifen, Matthias aufrütteln, ihm helfen, einen Weg, in irgendeiner Richtung, einzuschlagen.

Maximilian Zech »Aus einer Zeit«, Roman, Bucher, fester Einband, Schutzumschlag, 256 Seiten, 21,80 €