Auftakt zum Barock.Musik.Fest in der Schloßkapelle
Es ist ein einmaliger Raum – seit Jahren ist die Schloßkapelle im Dresdner Residenzschloß für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Sie dient als Werkstatt, in der zur Zeit die noch fehlenden Freskenstücke des Kleinen Schloßhofes vorbereitet werden. Doch der Komponist Heinrich Schütz war – ist – auch einmalig. Anläßlich seines 350. Todestages im November gibt es ein ganzes Festjahr »Schütz22«. Jetzt wird die Schloßkapelle knapp eine Woche zum Veranstaltungsort des Barock.Musik.Festes. Wie es sich so ergibt: auf den Fresken, die derzeit entstehen, sind biblische Szenen abgebildet, die in Texten unmittelbaren Eingang in Werke Heinrich Schütz‘ gefunden haben, wie das Damaskuserlebnis (»von Saulus zu Paulus«).
Die rekonstruierte Schloßkapelle besteht in der derzeitigen Form seit 2013. Damals wurde in einem vorläufig letzten Akt das spektakuläre Schlingrippengewölbe fertiggestellt. Es ist einzigartig und thront über Betonsäulen und einer Stahlempore. Ideen und Projekte für weitere Rekonstruktionen gibt es, von Sandsteinverkleidungen bis zu Ausmalungen und einer Nachempfindung der Fritzscheorgel – heikle Themen teilweise. Oder »vermintes Feld«, wie es der Kirchenhistoriker und Theologe Stefan Michel am Mittwoch in einer Vortragsreihe »Bezugspunkt Schloßkapelle« nannte. Er habe aber keine Angst vor Fettnäpfchen, fügte er hinzu und ließ die liturgische Bedeutung des Raumes bzw. der (in historischen Quellen oft so genannten) »Schloßkirche«, das Geflecht der höfischen Prediger bis zum Landesherrn als Summus Episcopus in seinem Vortrag lebendig werden. Friederike Böcher, Leiterin der Forschungs- und Gedenkstätte Heinrich-Schütz-Haus Bad Köstritz, wandte sich darauf der musikalischen Historie zu. Mancher ist geneigt, Schützes wegen, der doch einhundert Jahre vor Bach lebte und vor diesem genannt werden muß, den Raum, in der Sagittarius über fünfzig Jahre wirkte, »Schützkapelle« zu nennen. Doch das hieße, erinnerte Friederike Böcher, all die anderen wichtigen Compositeure und Kapellmeister zu übergehen: Johann Walther, Mattheus Le Maistre, Antoni Scandello …
Arno Paduch holte den Raum und das Bemühen um eine Rekonstruktion der Musik in der Aufführung in die Jetztzeit, verwies auf damals unterschiedliche Praktiken in Italien und Deutschland und den Einsatz von bis zu sieben (!) Orgeln in italienischen Kirchen. Ins »Fettnäpfchen« trat hier niemand (es war wohl auch keiner da, der sie aufgestellt hätte) – man kann sich nur wünschen, daß der inspirierende Vormittag eine Fortsetzung findet, spätestens, wenn die Schloßkapelle / -kirche später einmal wieder öffentlich nutzbar wird.
Anregungen aufzunehmen, darin haben sich die Dresdner Hofmusik e. V., das Heinrich Schütz Musikfest oder die Mitteldeutsche Barockmusik e. V. schon öfter bewiesen. So wunderte es nicht, daß das Heinrich Schütz gewidmete Barock.Musik.Fest zum Eröffnungskonzert am Donnerstag mit einer Uraufführung aufwartete. Nach dem kleinen, aber feinen Musikalischen Auftakt zu Beginn der Vorträge am Mittwoch mit Kreuzorganist Holger Gehring (Orgel), Heidi-Maria Taubert (Sopran) und Ulla Hoffmann (Violone) waren für den Konzertabend Chorwerk Ruhr (Leitung: Florian Helgath) mit einer kleinen Continuogruppe eingeladen. Sie spielten und sangen auf der Musikempore über dem Publikum, aber auch auf seitlichen und hinteren Emporen Musik von Heinrich Schütz und Nikolaus Brass. Dessen Earth Diver VOICES II von 2016 erweitert das Hörspektrum um geräuschhafte Elemente, die neben einem Text den Klang des Windes und von Atem einbinden. Manches davon schien fragil – daß alles, was wir tun, letztlich fragil sei und wir das in solch unsicheren Zeiten spürten, hatte Intendantin Christina Siegfried in ihrer Eröffnung festgestellt. Heinrich Schütz, der unter anderem den Dreißigjährigen Krieg miterlebt hatte, schuf viele seiner Werke in unsicheren Zeiten.
Schütz‘ Musik kann Halt geben, so auch im Uraufführungswerk des Abends, Martin Wistinghausens »Bedrängte Zeit, vergeh!« Der Komponist hat darin zahlreiche Texte der Barockzeit (Friedrich von Logau, Andreas Gryphius, Simon Dach, Paul Fleming) verarbeitet, die gesungen oder gesprochen werden. Dabei wird die »Vergänglichkeit und Schönheit«, ein Sonett von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, sozusagen fragilisiert – unsichere Zeiten. Die Erlösung oder Rettung lag bei Heinrich Schütz, dessen »Verleih uns Frieden« (SWV) und »Selig sind die Toten« (SWV 391) unmittelbar mit den drei Teilen des Stückes verknüpft waren.
Die ersten Tage boten bis hin zu einer parallel verlaufenden Komponierwerkstatt viele Bezugspunkte. Mit gerade einer Stunde Musik schien nur das Eröffnungskonzert etwas kurz – am Wochenende gibt es mehr.
6. Mai 2022, Wolfram Quellmalz