Neues Klaviertrio Dresden gestaltet zweites Konzert der Reihe Re:actions im Deutschen Hygienemuseum
KlangNetz Dresden e. V. ist bestrebt, seinen Konzerten einen größeren Impuls zu geben als nur einen gemeinsamen, bindenden Übertitel. In diesem Jahr heißt er »Re:actions«. Dabei werden die Re-Aktionen konkret: in jedem der Konzerte gibt es eine Uraufführung, die sich auf die Uraufführung des vorangehenden Abends bezieht. Unterschiedliche Komponisten greifen dabei die Werke ihres Vorgängers oder ihrer Vorgängerin auf, nutzen thematisches Material, verändern es, fügen hinzu, lassen weg …
Gestern nahm Juan Muñoz Campo mit »Nebel und mehr Landschaften« jenen Faden auf, den Julia Waldeck im Maikonzert mit »Nebelmeer« hinterlassen hatte. Zudem gab es eine Wiederbegegnung mit einem der Werke von Gilberto Agostinho.
Den Anfang markierten jedoch Erinnerungen – in Töne und Klang gesetzte Notizen des Komponisten Alvin Lucier. Nicht nur Komponist, ausdrücklich als Klangkünstler kann man den Amerikaner sehen, der wesentliche Anregungen bei John Cage und Luciano Berio oder den Darmstädter Ferienkursen erfahren hatte. »(Dresden) Memory Space« vollzog sich in bildhaften Ebenen, bei denen die Violine (Uta-Maria Lempert) oft den Vordergrund, das Klavier (Clemens Hund-Göschel) den Hintergrund und das Violoncello (Matthias Lorenz) eine Stimmung wiederzugeben schien. Geräuschnachahmungen von Vogelstimmen bis zu Sirenen und Motorrädern gehörten dazu, blieben aber in das Stück eingebunden und Teil des Klangraumes, ohne in einen Musik- und einen Showteil aufzubrechen – das sollte bei der Uraufführung des Abends anders werden.
Zunächst dehnte das Neue Klaviertrio Dresden mit Thuon Burtevitz‘ »al-gabr« den Klangraum aber noch deutlich mehr ins Geräuschhafte, Elementare. Reibung und das Vibrieren von Klammern auf den Saiten (auch eine Re-Aktion) zeigten dabei, daß Musik, Ton und Geräusch nicht zuletzt eine Folge physikalischer Effekte sind (und sich auch so beschreiben lassen). Die Komponistin verband diese elementare Ebene jedoch mit melodischen und rhythmischen Partikeln, Motiven bzw. Themen (oder einfach einem Dreiklang), die weitergegeben, verarbeitet werden, ohne daß nur eine klassische Variation oder Veränderung (allein auf ein Thema bezogen) vordergründig würde. Die Reibung, immanent vorhanden, wurde zu Anfang und am Ende besonders deutlich – ohne Reibung würde ein Streichinstrument keinen Ton erzeugen.
Mit der Uraufführung von Juan Muñoz Campo wurde das Konzert um eine Bildebene erweitert. Diesmal keine imaginäre, sondern eine reale Leinwand. »Nebel und mehr Landschaften« (wie schon bei Alvin Lucier mit präpariertem Klavier) spiegelte das Nebel-Thema auf vielfältige Weise, setzt ihn in Töne um, manche – das Atmen oder Zischen der Spieler – verbanden sich fast zwingend mit den Bildern und gespielten Noten, andere wiederum (Lachen) wirkten zunächst fremd, künstlich. Wogegen nichts zu sagen ist, schließlich ist das Werk in Erschaffung und Aufführung individuell und folgt keinen festgeschriebenen »Nebelregeln«. Zunehmend jedoch häuften sich die Bilder und Effekte, so daß sich Ebenen wie Persiflage oder Ironie, Selbstreflexion (?) und der Bezug auf den Ort / Raum Dresden verwischten, das Stück unterhaltsamer wurde, eine Bildershow, deren Effekte oft den musikalischen Gehalt überboten. Vielleicht wäre »Nebel und mehr Landschaften« ohne die Visualisierung eindrucksvoller gewesen? In der Vielzahl der Einfälle glich das Stück streckenweise einem PR-Film. Dabei verwendet Juan Muñoz Campo musikalisch interessante Grundsteine – bis hin zu Clustern und Einspielungen oder Verfremdungen (Re-Aktionen) von »Loops«. Man darf gespannt sein, was Jaei Hyuk-Ra für sein Werk »Gap III – Concerto grosso« im folgenden Konzert der Reihe aufgreifen und wie er es verarbeiten wird (Uraufführung am 15. Juli).
Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hatte das Neue Klaviertrio Dresden – damals im Rahmen der Jahresreihe »Intelligenz« – Gilberto Agostinhos »methinks it is like a weasel« uraufgeführt. Das Neue Klaviertrio Dresden pflegt seine Werke und trägt zu deren Etablierung bei, weshalb Wiederaufführungen zum festen Programm gehören. Und es zeigte sich: »methinks it is like a weasel« wirkt auch nach einem Jahr noch. Mindestens die erste Hälfte ist spannend und faszinierend – nach dem Bilder- und Effektsturm vor der Pause wirkt das Stück sehr ruhig, aber weniger meditativ, sondern erneut elementar. Gilberto Agostinho, der sich mit Mutationen und der Generationsfolge beschäftigt hat, läßt in tonalen Artefakten Arten entstehen, welche in der Wiederholung immer weiter reduziert werden. Dies kann ebenso zum Ersterben der Art führen wie einer Reduktion auf den Zellkern entsprechen. Mehrfach schließen sich Teile (oder Sätze) an, die auf neue bzw. veränderte Partikeln aufbauen. Dennoch sind die Partikel (Arten / Generationen) verwandt (ähnlich). Durch die mehrfache Wiederholung des gleichen Verfahrens ließ beim Wiederhören die Spannung im zweiten Teil dennoch ein wenig nach, wobei dieser Eindruck nicht zuletzt daher rührt, daß der Anfang so stark war.
Die Neugier auf eine Wiederbegegnung bleibt in jedem Fall: bei Alvin Lucier und Thuon Burtevitz verbunden mit der Frage, wie sich das zweite, dritte … Anhören unterscheidet, bei Juan Muñoz Campo und Gilberto Agostinho mit der Neugier, ob es Veränderungen oder wie die Vorgabe (»Nebel und mehr Landschaften«) aufgenommen werden wird. Alles andere als langweilig!
14. JUni 2022, Wolfram Quellmalz
Nächstes Konzert der Reihe: »Realities«, 15. Juli 2022, Ort: Deutsches Hygienemuseum Dresden, Sinfonietta Dresden, Beginn: 19:30 Uhr, Publikumsgespräch vorab: 18:45 Uhr. Mehr unter: http://www.klangnetz-dresden.de/konzertvorschau/