Freudiger Abschluß ohne Wehmut

Dresdner Musikfestspiele setzen mit Beethoven ein Achtungszeichen und geben einen Ausblick

Vor Jahren schon wuchsen die Dresdner Musikfestspiele (DMF) auf das Mammutformat von einem Monat – jeden Tag klang es seit dem 11. Mai in der Frauenkirche, der Annenkirche, der Semperoper und vor allem im Kulturpalast. Auf 25 Spielstätten brachten es die DMF in diesem Jahr und eine sagenhafte Auslastung von 85 Prozent. Während das Publikum momentan oft noch zögerlich (re)agiert, was auch die DMF zu spüren bekamen, als sie kurz vor Beginn endlich 100 Prozent Platzkapazität anbieten konnten, entwickelte sich offenbar ein Sog – Stammbesucher, Neugierige und Touristen setzten sozusagen ein Anti-Corona-Zeichen.

Sie erlebten am Freitagabend im Kulturpalast noch einmal das Festspielorchester. Es hat sich längst etabliert, wandelt sich dennoch in Programm und Gestalt. Nach früheren Schwerpunkten um Robert Schumann hat es sich zuletzt Ludwig van Beethoven zugewandt und kombiniert seine Auftritte mit Einladungen nicht an Experten der Historischen Aufführungspraxis, sondern an solche, die zumindest überwiegend »normale« Sinfonieorchester dirigieren. Nachdem Daniele Gatti im vergangen Jahr ein Streaming-Konzert der DMF geleitet hatte, übernahm nun der amerikanische Dirigent David Robertson. Vor sich hatte er wiederum ein Orchester mit Instrumenten der Beethovenzeit, was unter anderem ein Kuriosum bereithielt: ein Trompetenfagott bzw. eine Fagotttrompete – eine Mischung aus beiden Instrumenten und eine historische Variante des Kontrafagotts.

Zu entdecken gab es aber noch mehr, denn neben der neunten Sinfonie Ludwig van Beethovens gehörte dessen Phantasie für Klavier, Chor und Orchester zum Programm – von c-Moll nach d-Moll sozusagen, doch um Tonarten dürften sich wohl nur wenige Gedanken gemacht haben. Schon deshalb nicht, weil man die sagenhafte Phantasie so selten im Konzert hören kann. Der Pianist hat zunächst ein extragroßes Publikum, denn neben den lauschenden Zuhörern pausieren Orchester und Chor einige Zeit. Martin Helmchen entlockte dem Hammerflügel (Nachbau nach historischem Original) vor allem im mittleren und tieferen Bereich kernige Töne, weiter oben wirkte er leichter. Mit dem einsetzenden Orchester mehrten sich die ungewöhnlichen Höreindrücke. Von den gestopften und gedämpften Hörnern, die wie fern schienen über die oft in den Vordergrund tretende Flöte (Dóra Ombodi), dann die Oboen – jeweils im Dialog mit dem Klavier, während anschließend Klarinetten und Fagotte miteinander parlierten. Für den historisch interessierten Besucher ergab sich ein Klangparcours, dem David Robertson unterschiedliche Verschmelzungsgrade spendierte. Gerade in diesem Amalgam lag ein großer Teil der instrumentalen Faszination.

Der andere Teil – vielleicht der noch größere – lag beim Dresdner Kammerchor (Einstudierung: Tobias Mäthger). Denn der begeisterte nicht nur mit einer hervorragenden Verständlichkeit, sondern auch mit einem homogenen, elastischen, schmiegsamen Klangkleid, welches dem Text (»schmeichelnd«, »Wonne«, »Götterlust«) eine schiere Entsprechung war.

Dies zu überbieten brauchte es schon eine Neunte, und auch hier sorgte der Kammerchor für das Sahnehäubchen – trotz eines edlen Solistenquartetts mit Aleksandra Kurzak (Sopran), Tanja Ariane Baumgartner (Alt), Christian Elsner (Tenor) und Tareq Nazmi (Baß). Einerseits hatte der Chor schon vor der Pause mit herausgehobenen Stimmgruppen (Soprane und Tenöre) für Konturschärfe gesorgt, jetzt erwies er sich als sicherer Gestalter einer angemessenen Steigerung – die Dynamik der Ode soll schließlich nicht im Bersten enden.

Das Solistenquartett konnte sich vor diesem Hintergrund bemerkenswert hervorheben, allen voran Tareq Nazmi, der mit seiner Mühelosigkeit (Verständlichkeit gepaart mit einer raumgreifenden Präsenz) beeindruckte.

10. Juni 2022, Wolfram Quellmalz

Einige der Konzerte der DMF wurden vom Radio übertragen oder aufgezeichnet. Die Aufführung von Amalie von Sachsens »Elvira« soll am 20. August auf MDR Kultur gesendet werden (ARD-Radiofestival), die Lange Nacht des Cellos ist in der Mediathek von ARTE Concert bereits abrufbar. Anfang September zünden die DMF ein kleines Dreitagefestival – zwischen 1. und 3. kommen drei amerikanische Spitzenorchester zu Besuch. Mehr unter: http://www.musikfestspiele.com

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