Alte Musik im Kunstgewerbemuseum beginnt mit einem Lautenschlag, der nach einer Fortsetzung ruft
Die Wiederentdeckung einer 400 Jahre alten Pillnitzer Notensammlung bzw. deren Abschrift ist wahrlich eine Sensation und ein Glück. Der »strenge Joachim von Loß«, auch der »böße« Loß genannt, war nicht nur ein (vielleicht übermäßig) gestrenger Kursächsischer Geheimer Rat, Reichspfennigmeister und noch in anderen Ämtern zu Hause, sondern zudem ein Musikliebhaber und ein Könner. Sein Spiel auf der Laute muß bemerkenswert gewesen sein, bezeugen zeitgenössische Berichte. Und Joachim von Loß stand mit vielen Könnern im Austausch. Magnus Andersson, der am Sonnabend im Bergpalais des Pillnitzer Schlosses aus Loß‘ Notenhandschrift spielte, vermutet, daß dieser in Leipzig den vielleicht größten Lautenspieler seiner Zeit getroffen haben könnte: Gregorius Huwet. Der, am Wolfenbütteler Hof tätig, soll mehrfach Loß‘ Studienstadt besucht haben, um auf der Messe Instrumente zu kaufen. Somit finden sich in der Pillnitzer Sammlung, die übrigens nicht in Noten wie wir sie kennen, sondern in einer deutschen Tabulaturschrift verfaßt wurde, auch Werke von Huwets Kollegen Tobias Kühne.
Der Klang der Laute ist ohnehin unvergleichlich, ganz anders als kräftige Gitarre, die vitale Mandoline. Magnus Andersson ließ sie singen, wie am Beginn des Nachmittags in einer anonym überlieferten Couranta – hell und federleicht wie Biskuit oder Vogelgesang paßte sie zu den Fresken, zu den Darstellungen von Vögeln und Blumen auf den unteren Bild- und Türtafeln sowie den Türrahmen im Pillnitzer Bergpalais. Anderssons Instrument – ein Nachbau – ist eine achtchörige Laute, deren Klang betörend ist und die in vielen Lagen brillieren kann. Der Lautenist kann Melodiestimme und Baß erwecken oder aber mit zwei Händen über dem Schalloch und dem Griffbrett am Hals polyphon spielen.
Und scheint dies nur nebenbei wichtig, denn schlicht bezaubernd ist die Musik, die Magnus Andersson so leichthin erklingen läßt – vom »bösen« Loß? Die Einzigartigkeit der Sammlung offenbarte sich – in einer Erstaufführung! – darin, daß viele der Stücke nur hier enthalten sind. Manche, wie John Dowlands Pavan to delight oder Lachrimae Pavan, sind zwar auch anderswo notiert, doch die Loß’sche Fassung ist eine andere. Noch frappierender ist es im Falle Girolamo Speronis: der Veroneser Musiker muß ein großartiger gewesen sein. Man weiß, daß er immer dann zu spielen hatte, wenn hohe Gäste kamen. Überlieferte Werke gab es bis dato jedoch nicht. Nun sind drei nachweisbar: Gagliarda et alio modo erklangen im Konzertprogramm, eine weitere Gagliarda lieferte Magnus Andersson als Zugabe nach.
Ein Kaleidoskop der Lautenliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts hat Joachim von Loß gesammelt, mit Pretiosen wie einem Ricercar über ein Ricercar von Orazio Vecchi und Tobias Kühnes Fassung von »Verleih unß Friedt«, das Strophe um Strophe in verschiedene Stimmen wuchs, als würde sie ein Organist unterschiedlich registrieren, aber auch ein anonymes »Veni redemtor gentium« (»Nun komm‘ der Heiden Heiland«) gehört dazu.
Es wäre schade, wenn die einzigartige Sammlung nur dieses eine Mal erklungen wäre – zum Glück besteht Aussich, daß dem nicht so ist: Magnus Andersson will aus der Pillnitzer Notensammlung eine Aufnahme entstehen lassen und auf CD veröffentlichen. Die Wartezeit können wir mit Werken aus einer anderen Sammlung überbrücken: »Nürnberger Lautenschläger« vereinigt Kompositionen von Adolf Blindhamer, Hans Gerle, Hans, Conrad und Melchior Neusidler sowie Michael Eysertt (erschienen bei klanglogo).
Schon am kommenden Sonnabend geht es in der Reihe weiter. Anne Schumann (Violine und Viola da braccio), Clemens Schlemmer (Dulcian) und Petra Burmann (Theorbe) spielen unter dem Titel »Canzoni fantasie – Vom Dulzian zum Fagott« Musik von Bartolomeo de Selma y Salaverde Heinrich Schütz, Giovanni Battista Fontana und Carlo Farina.
12. Juni 2022, Wolfram Quellmalz
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