Besuch in Mailand

Kammerkonzert in der Casa Verdi

Die Neuen (musikalischen) Blätter waren in Mailand. Zentral stand ein Besuch der Scala im Programm (Vorabbericht folgt, eine ausführliche Mailand-Beschreibung gibt es im Sommerheft), aber das sollte nicht die einzige Musik sein, die wir erleben wollten. Zunächst jedoch war es schwierig, etwas anderes außer der Scala zu finden. Am Conservatorio di Musica Giuseppe Verdi gab es just keine Konzerte, andere Theater oder Häuser boten auch nichts, blieben nur die Kirchen – mit etwas Glück könnte man hier Orgeln hören, immerhin sind Größen wie Lorenzo Ghielmi in Milano zu Hause, und an der Orgel der Chiesa di San Marco soll einst Mozart gespielt haben. Doch sonst?

Straßenbahnwagen der Linie 1 in Milano mit eingefügter Werbung / Plakat der Società del Quartetto di Milano, Photo: NMB

Da entdeckten wir an einem der alten Straßenbahnwagen (von 1928!) der Linie 1, als wir ihn just besteigen wollten, Werbung für die Società del Quartetto di Milano. Die Gesellschaft wurde im Dezember 1863 von Tito Ricordi, Arrigo Boito, Franco Faccio und einigen Musikfreunden und -förderern gegründet und richtet seit 1864 Konzerte aus. Durchaus nicht nur für (Streich)quartette. Schon kurz nach der Gründung standen Beethoven-Sinfonien und Kammermusik mit hochwertigen Gästen auf dem Programm: Anton Rubinstein, Camille Saint-Saëns, Eugen D’Albert, Joseph Joachim und andere trugen sich ein, heute stehen Musiker wie Mitsuko Uchida, Jordi Savall, Emmanuel Tjeknavorian oder das Quartetto di Cremona im Programm.

Wir nutzten die Gelegenheit für einen Besuch und ein Konzert mit zwei jungen Künstlern, die am Conservatorio di Musica Giuseppe Verdi ausgebildet wurden: Filipe dos Santos Esteves (Klarinette) und Diego Petrella (Klavier). Sie besuchten am Donnerstag die Casa di Riposo per Musicisti oder schlicht die Casa Verdi – Giuseppe Verdi hatte das Haus 1896 mit dem Ziel errichten lassen, mittellosen Musikern und Sängern hier ein Heim für den Lebensabend zu bieten. Um die 60 können es sein – die Casa di Riposo per Musicisti verfügt heute über die Urheberrechte aller Opern Giuseppe Verdis. Der Komponist wurde übrigens neben seiner Frau in der Kapelle der Casa beigesetzt.

Das Projekt wurde bereits mehrfach in Reportagen (1984: »Il Bacio di Tosca« / »Der Kuss der Tosca« von Daniel Schmidt) und Bildbänden (2016: »Casa Verdi« von Eric Bachmann) vorgestellt. Nach unserem Besuch wissen wir: so, wie in dem (reizenden!) Film »Quartett, ewig junge Leidenschaft« (2012, unter anderem mit Maggie Smith, Tom Courtenay, Billy Connolly und Dame Gwyneth Jones, Regie: Dustin Hoffmann) geht es hier nicht zu. (Allerdings steht Beecham House, wie es im Film heißt, auch in England auf dem Lande.)

Am Konzerttag unseres Besuches trafen sich einige andere Besucher von außerhalb, vor allem aber Bewohner der Casa Verdi im Konzertsaal, um Santos Esteves und Diego Petrella in einem Konzert zu erleben. Die beiden Musiker hatten Werke von Claude Debussy, Johannes Brahms, Francis Poulenc und Eugène Bozza mitgebracht und das Programm sogar noch um einen Satz aus Joseph Horovitz‘ Sonatina erweitert.

Innenhof der Casa di Riposo per Musicisti mit Blick auf die Kapelle, Photo: NMB

Gerade der impressionistische Debussy (Première rhapsodie in si bemolle maggiore) schien (fühlte der Rezensent) gut zum Wetter zu passen – warm bis schwül, farbenreich, etwas träge. Doch die Trägheit überwanden die beiden Musiker schnell. Und daß das Wetter keine Rolle spielt, wurde spätestens bei Brahms (zweite Klarinettensonate) deutlich: der Vortrag war ganz unabhängig von Wetter oder Wärme leidenschaftlich!

Mit Poulenc und Bozza gab es aber auch moderne Klangfarben, vor allem Bozza bot mit Tonsprüngen und einer Kadenz noch einmal die Möglichkeit, zu brillieren. Das Publikum, vor allem die Bewohner des Hauses, für die das Konzert schließlich veranstaltet wurde, freuten sich nicht nur, sie wußten die Leistung zu würdigen – ein ganz besonderer Teil von »lebendiger Musik« und ein authentisches Erlebnis!

Nachdem Santos Esteves und Diego Petrella bereits durch die Zeit gereist waren, sprangen sie noch einmal kurz zurück und präsentierten als Zugabe Astor Piazzollas »Oblivion« (Vergessenheit) – nein, ums Vergessen geht es in der Casa di Riposo per Musicisti bestimmt nicht!

24. Juni 2022, Wolfram Quellmalz

Sind Sie demnächst in Mailand? Am Donnerstag (30. Juni) spielt Stefano Benzing (Klavier) Werke von César Franck und Sergej Prokofjew in der Casa di Riposo per Musicisti. Und im Herbst kommen Daniil Trifonow, Sir András Schiff, das Quartetto van Kuijk und andere. Mehr unter: http://www.quartettomilano.it/

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