Was bedeutet D-DL Mus. 2-Q-21,1?

Ensemble con brio stellte Funde anonymer Komponisten vor

Wenn ein Notenblatt nicht den Namen des Verfassers trägt, kann das unterschiedliche Gründe haben. Vielleicht wurde bei einer eilig für Aufführungszwecke angefertigten Abschrift vergessen, ihn anzugeben. Oder das Stück war zu seiner Zeit so bekannt, daß die Angabe des Namens überflüssig schien. Vielleicht stammte das Notenblatt auch aus dem Besitz des Verfassers selbst – sofern sie nicht für eine Veröffentlichung gedacht waren, fehlt der Autoreneintrag auf den Titeln vieler Kompositionen. Allein die Sammlung des »Schranck No. II« in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) zählt an die zweihundert anonym überlieferten Werke.

Anonym heißt keineswegs unbeachtet oder minderwertig. Im Gegenteil: Viele der in Dresden aufbewahrten Noten stammen aus kundiger Feder. Schließlich wurde im berühmten Notenschrank einst das Aufführungsmaterial der Sächsischen Hofkapelle verwahrt. Und Werke, die zum Beispiel der damalige Konzertmeister Johann Georg Pisendel gesammelt hat, sind eigentlich immer von hoher Qualität, weiß Harald Schäfer. Er ist einer der Initiatoren der Musikbibliothek MusanKo, die sich zur Aufgabe gemacht hat, aus frei verfügbaren Noten Aufführungsmaterial bereitzustellen – kostenlos. Doch die alten Noten müssen zunächst entschlüsselt werden – vieles ist nicht gut leserlich, nicht vollständig, Fehler müssen identifiziert und korrigiert werden, verkürzte Schreibweisen so dargestellt, daß jeder Musiker (auch der versierte Laie) sie versteht – eine Fleißarbeit.

Am Wochenende konnten sich Neugierige gleich dreimal von den Früchten dieser Arbeit überzeugen. In der Loschwitzer Kirche (musikalische Vesper am Freitag), im oberen Foyer des Kulturpalastes (Sonnabend) und im Haus Glaser (Sonntag) stellte »con brio« (Constanze Walzer / Violine, Peter Haischer / Blockflöte und Oboe, Christoph Müller / Fagott sowie Harald Schäfer / Cembalo) ihr Programm vor – nicht zum ersten Mal kamen sie übrigens nach Dresden.

Diesmal hatten sie neben Werken aus der SLUB auch zwei Trios aus der Sammlung der Berliner Singakademie dabei. D-DL Mus. 2-Q-21,1 ist eines von sieben Quartetten aus Schranck No. II. Zwei sehr unterschiedliche daraus stellte con brio vor. Während das erste geschmeidig eine Emotionalität herausstellte und die Fuga elegant in einem Allegro versteckte, dabei aber der Form der viersätzigen Kirchensonate folgte, schien das zweite, dreisätzige, deutlich moderner – haben sie unterschiedliche Verfasser? Gemein ist ihnen eine leichtgängige Virtuosität (die offenbar Spielfreude verursacht) und ein Wiedererkennungswert, vor allem aber die Quartettanlage – alle vier Stimmen haben tragende Anteile.

Die in der Berliner Singakademie verwahrten Trios sind jeweils für Violine, Oboe und einen Basso continuo geschrieben, weisen aber schon in der Signatur Unterschiede auf. Zudem ist das eine Suite – diese begann zwar in einem Bach’schen Gestus, überzeugte aber mit Eigenständigkeit und einem charmanten Charakterwechsel im Trio des Menuetts.

31. Juli 2022, Wolfram Quellmalz

Diese vier Werke sind jetzt nach zwei- bis dreihundert Jahren wiederaufgeführt worden. Und sie beweisen: bei »Anonymus« gibt es bestimmt noch mehr zu entdecken, auch für Laien. Auf MusanKo finden Sie mehr.

www.musanko.de/

Die seit 2015 bestehende Reihe »Lampenfieber« der Städtischen Bibliotheken Dresden bietet Laienmusikern Auftrittsmöglichkeiten für kleine Konzertformate im Kulturpalast (Abteilung Musik der Zentralbibliothek).

www.bibo-dresden.de

CD-Tip: Der unvergessene Ludger Rémy hatte 2016 mit Musikern seines Ensembles Les Amis de Philippe die sechs anonymen Quartette aus D-DL Mus. 2-Q-21 aufgenommen (erschienen bei CPO).

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