Very british, very delight

Organist der Westminster Abbey in Dresden zu Gast

Wer bei dem offiziellen Programmtitel »Aus royalem Hause« dachte, es würden nur Werke englischer Komponisten gespielt, der wurde am Mittwoch in der Dresdner Kreuzkirche überrascht. Die Internationalen Dresdner Orgelwochen empfingen diesmal den Schotten James O’Donnell, der seit 2000 sein Zuhause an der Westminster Abbey in London hat. Die von ihm für seinen Auftritt ausgewählten Stücke gehörten zu den »Werken aus dem Herzen des britischen ›Establishments‹« (O’Donnell). In London bzw. Großbritannien ist wohl manches anders als bei uns. So ist O’Donnell als Organist und Domkapellmeister angestellt. Anders als wir es kennen, sind die Ämter bzw. Kompetenzen für Orgel und Chor nicht getrennt, sondern vereint. Das scheint ein Nachteil zu sein, schließlich bleibt dem Organisten weniger Zeit, Werke zu erarbeiten und sich auf sein Instrument zu konzentrieren. Andererseits beeinflußt sich beides sicher gegenseitig – vielleicht nimmt James O’Donnell die Orgel also »chöriger« wahr? Sein Spiel ließ es hier und da vermuten.

Zunächst gab es den Gast aber wieder im »Gespräch unter der Stehlampe« zu erleben. Und das kehrte nach langer Zeit wieder an den ursprünglichen Ort, die Schütz-Kapelle der Kreuzkirche, zurück. Die Besucherzahl von Konzert und Gespräch war diesmal gegenüber den letzten Veranstaltungen noch deutlich gewachsen, so mußten – schöne Last! – für das Gespräch zusätzliche Stühle aufgestellt werden. Die Zuhörer erfuhren manches über den Alltag an der Abbey, das enorme Pensum des Knabenchores, der bis zu acht Programme in der Woche zu gestalten hat, aber selbst Trivia waren Thema, schließlich begegnet James O’Donnell an Westminster auch der Queen. Natürlich nicht persönlich, aber sie bedankt sich gewöhnlich für die Gestaltung der Gottesdienste, die sie zwei bis dreimal im Jahr besucht.

Das »britische Establishment« zeigte sich dann weniger »zugeknöpft«, als mancher gedacht hätte, denn neben britischen Komponisten wie Percy Whitlock, Sir James MacMillan und William Walton standen auch der Ire Charles Villiers-Stanford sowie Louis Vierne, Olivier Messiaen und Johann Sebastian Bach auf dem Programm. Wenn bei solcher Gelegenheit ein bekanntes Werk nach kurzer Zeit wieder erklingt, wie Bachs Passacaglia c-Moll (BWV 582, zuletzt beim Orgelzyklus am 13. Juli in der Hofkirche), kann man die Interpretationen gut vergleichen. Sie sind gar nicht so wesentlich anders, in den Nuancen aber schon. James O’Donnell setzte weniger auf klare Struktur und geschärfte Konturen, verwob die Stimmen dafür mehr und betonte die charakteristische Färbung – vielleicht so, wie er das beim Musizieren mit Chören kennt?

Als großartige Entdeckungen erwiesen sich Louis Viernes »Claire de lune« und Sir James MacMillans »Gaudeamus in loci pace«. Natürlich muß man bei »Claire de lune« unwillkürlich an Claude Debussy denken. Vierne beginnt seinen Mondschein praktisch mit dem gleichen Akkord, James O’Donnell ließ dann aber nicht nur den Schein, sondern viele Mond- und Nachtphasen stimmungsvoll funkeln. MacMillan wiederum hat in einem traditionellen Lied (ursprünglich ein Festtagsintroitus) Vogelstimmen gegenübergesetzt, deren aufsteigendes Motiv aus vierzehn Tönen erst neuzeitlich modern, fast avantgardistisch schien, aber sogleich von einer improvisatorisch-phantasievollen Sequenz aufgelockert wurden.

Mit dem Coronation March »Crown Imperial« von William Walton schloß James O’Donnell das Konzert mit einem festlichen, typisch britischen Impetus ab, der ebenso an Krönungsfeiern wie die »Last Night of the Proms« denken ließ.

4. August 2022, Wolfram Quellmalz

Nächste Konzerte der Internationalen Dresdner Orgelwochen (Beginn jeweils 20:00 Uhr): 10. August, Frauenkirche, Isabelle Demmers (USA). 17. August, Hofkirche, Domorganist Damien Simon (Straßburg), 24. August, Kreuzkirche, Marck Stefański (Polen)

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