Sinfonische Dichter

Karl-Heinz Simon beim Pianoforte-Fest Meißen

So unterschiedlich die drei Werke waren, die am Dienstagabend im THÜRMER Pianoforte-Museum beim Pianoforte-Fest Meißen erklangen, so stark sind doch gleichzeitig die sie bindenden Gemeinsamkeiten: alle drei bergen sinfonische Ansätze in sich, noch über das hinaus, was ihre drei Komponisten, Brahms, Liszt und Schubert, der Gattung Sinfonie an sich gaben. Alle drei offenbarten aber auch eine Nähe zur Dichtung, zum lyrisch verzweigten Poem oder zur Ballade.

Johannes Brahms fertigte eine ganze Reihe von Variationszyklen an. Wenn daraus vor allem jene über ein Thema von Händel berühmt sind, spricht das zwar für deren außerordentliche Qualität, indes sollte man aus der Überhöhung nicht ableiten, daß die anderen Zyklen nicht hörenswert wären. Wie Nr. 1 aus Opus 21 zum Beispiel, dem ein eigenes Thema zugrunde liegt. Brahms schlug dabei neue Pfade ein, verflocht die Variationen in Melodie und Baß – den er bei variierter Singstimme auch einmal unverändert beibehielt – und schuf komplexe Charaktere. So wundert es nicht, wenn man beim Hören nicht nur »Freude«, »Leidenschaft« oder »Melancholie« assoziiert, sondern an die Klangwelten Robert Schumanns oder Franz Liszts denkt.

Karl-Heinz Simon brachte dieses Sinfonische einer Weltanschauung zum Ausdruck, allerdings schlichen sich hier und da immer wieder kleine Fehler ein, zudem schien die Balance des Klangs etwas verschoben. Obertönig, leicht grell, fehlte dem Baß anfangs die grundlegende, singende Tiefe.

Bei Franz Liszts Ballade Nr. 2, die aus dem Baß aufwogte, war sie dann allerdings da. Stupend gelang Karl-Heinz Simon die Synthese aus marschmäßigem Voranschreiten und lyrisch fließendem Mittelteil. Dem mehrfach verzweigten Werk war ein Spannungsbogen gegeben, der zu keinem Zeitpunkt brach und sich stufenweise – wie manches Mal zeichnete Liszt arkadische Landschaften – bis in Glockenakkorde steigerte.

Nach der Pause folgte mit Franz Schuberts Sonate G-Dur (D 894) einer der schönsten Gattungsbeiträge überhaupt. Kaum vorstellbar, daß Schubert – nur etwa fünf Jahre älter als Johannes Brahms, als der sein mit seinem Opus 21 gerade am Anfang stand – damit eine seiner letzten Sonaten zu Papier brachte. Allein der erste Satz beschreibt schon eine ganze Welt – mit seiner hingebungsvollen Gelassenheit und federnden Akzenten hätte sie im Raum schweben können, indes fehlte nun wieder die Bindung durch einen singenden Baß. Trocken, fast stumpf entwickelte er zuwenig Nachhall, fehlte eben das bindende.

Hier und da schlichen sich erneut kleine Fehler ein – Karl-Heinz Simon, der als Professor an der Dresdner Musikhochschule in den Fächern Klavier und Klaviermethodik unterrichtet, weiß selbstverständlich, wie man – methodisch – aus solchen Situationen herausfindet, dennoch muß man feststellen, daß Werk und Spannung unter solchen Lücken einbüßen. Ist nicht der Anspruch, ohne Noten aufzutreten, überholt und unberechtigt? Nur oberflächlich betrachtet beeindruckt die Gedächtnisleitung eines Auswendigspielens, musikalisch hat es kaum Wert. (Ganz bedeutungslos ist es nicht, denn wer am Notentext festhängt, kann nicht frei gestalten.) Schuberts Andante zumindest wäre die »Stütze« gut bekommen, im Menuetto schien er wieder frei.

27. JUli 2022, Wolfram Quellmalz

Nächste Konzerte des Pianoforte-Festes Meißen: 17. August, 19:00 Uhr, Henri Sigfridsson (Mozart, Chopin, Godowsky) im THÜRMER Pianoforte-Museum, 25. September, 18:00 Uhr, Cunmo Yin (Beethoven, Mendelssohn, Schubert) in der Villa Teresa Coswig, weitere Informationen: http://www.pianoforte-fest-meissen.de/

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