Georg Zeppenfeld und Gerold Huber mit Schuberts Winterreise
Das schien wie gemacht – die Rezensenten eilten eben vom Kulturpalast, wo Francesco Piemontesi ein Programm um Franz Schubert gespielt hatte (unser Bericht folgt nach der Veröffentlichung in der Tagezeitung heute in zwei Tagen), zur Semperoper, da bauten Opernhaus, Zwinger, Wolken und Mondschein eine Szenerie, die Schubert’scher nicht hätte sein können …

Über manches mag man einfach nicht streiten. Wer sich zum Beispiel die Interpretation eines Liedes oder gar den Liederabend selbst zu »festgesteckt« denkt, der wird lieber bei den alten Platten bleiben als neue Experimente mit anderen Interpreten zu wagen. Da gibt es Musikfreunde, welche glauben, ein Opernsänger sei kein idealer Liedsänger. (Eine Ansicht, zu der sie ein Recht haben.) Doch zeigt die Erfahrung, daß gerade ein Opernsänger einem Lied viel von sich mitgeben kann und das Werk dennoch nicht »verbiegt«, vorausgesetzt, er kann etwas.
Bei Georg Zeppenfeld stellt sich diese Frage wohl kaum. Im Gegenteil waren viele, nein – alle (!) gespannt zu erleben, wie er einen Liederabend gestaltet. Und der »Baß vom Dienst«, der eben in Bayreuth noch praktisch in allen Rollen zu erleben war, bewies von der ersten Note, wie ernst er die Sache nimmt – die Freude daran war ihm aber auch anzumerken. Da stand ja auch nicht irgend etwas auf dem Programm, sondern Franz Schuberts »Winterreise«, und an seiner Seite hatte der edle Baßbariton keinen geringeren als Gerold Huber, den man getrost zu den derzeit besten zehn, nein fünf, oder vielmehr drei […] besten Liedbegleitern zählen darf.
Beiden gelang, was man sich nicht besser hatte wünschen können: Da mußte man nichts vergleichen, auch nicht mit den [dem] Größten, denn dieses Duo bringt neben dem Wissen und dem Können auch die Eigenständigkeit mit – daraus woben sie einen Zyklus, der ohne Bruch, Trübung oder Schatten war, sieht man einmal von den Schatten ab, die Wilhelm Müller und Franz Schubert hineingeschrieben hatten.
Schlicht atemraubend war, die unterschiedlichen »Schneelagen« zu verfolgen, mitzuerleben, wie sich hier ein Gemüt, ein Seelenzustand, binnen weniger Verse verändert. Eben noch sucht der Wanderer »des Wildes Tritt« auf den »weißen Matten«, was reinste Poeterei scheint, da stellt er die Vergeblichkeit fest, »ihrer Tritte Spur« im Schnee wiederzufinden. Solche Fallhöhen brauchen keine extra Betonung oder Verstärkung, sie wirken im musikalischen Sinn und bei einer Verständlichkeit, die ihresgleichen sucht.
Überhaupt, diese Artikulation – es ist viel mehr. »Sacht, sacht« das klingt so süß wie ein Versprechen, während die Zeilen um die »Gefrorenen Tränen« kurz darauf die Bitterkeit nicht verbergen können. Das war nicht allein im Wort-Sinn beeindruckend, sondern wegen der Unsicherheit, Unstetheit, Ambivalenz. Genau hier spannten Zeppenfeld und Huber das auf, was den Geist beschäftigt, den des Wanderers ebenso wie den des Zuhörers: ein permanentes Sehnen und Wünschen, das in verschiedenen Ebenen abläuft, weil es jetzt stattfindet, aber gleichzeitig einen Bezug zu damals hat – die Erinnerung ist bereits angefüllt mit Trauer, Gram und Melancholie. Aber nicht nur – sie war auch glücklich und hoffungsvoll, darin liegt ein Schlüssel für ein offenes Ende.
Das war auch so etwas Schönes an diesem Abend in der bestens besuchten Semperoper, daß sich Georg Zeppenfeld und Gerold Huber auf ihr (kundiges) Publikum verlassen konnten, dies wußten und nichts mit übertriebener Ausgestaltung oder Betonungen verstärkten. Der Baßbariton sorgte – da blieb er ganz Opernmensch? – hier und da mit kleinen Gesten und Mimik für szenische Bereicherung, die jedoch nicht aufgesetzt wirkte. Gerold Huber folgte (wenn man das so sagen darf) dem Sänger vollkommen, umfaßte ihn, stellte aber auch, und wenn es mit zartestem Widerspruch war, kleine Gegensätze her – weil der Wunsch des Wanderers zerbrechen mußte.
Und doch war da nichts hoffnungslos – der Schlüssel von Zeppenfeld und Huber lag vielleicht im Lied »Die Nebelsonnen«, schließlich endet dies mit den Worten »Im Dunkel wird mir wohler sein« – wer sagt, daß dies nur düster zu deuten ist, daß es keinen Ausweg gibt?
Blumen gab es für beide, übrigens gleichwertige Sträuße, denn manche Veranstalter geben dem Sänger noch den größeren, als hätte der Begleiter eine geringere Bedeutung. Hat er nicht, wie Gerold Huber bewies.
19. September 2022, Wolfram Quellmalz