15jähriges Jubiläum mit Festkonzert in der Dresdner Synagoge gewürdigt
Zweitausendeins wurde der kühne Sandsteinbau der Neuen Synagoge am Dresdner Hasenberg eingeweiht. Seit fünfzehn Jahren trägt die Neue Jüdische Kammerphilharmonie (NJK) mit ihrem Gründer und Leiter Michael Hurshell immer wieder dazu bei, diesen Raum auch außerhalb der Andachten für Besucher zu öffnen und mit Klang zu füllen. Dabei steht die Musik jüdischer Komponisten im Mittelpunkt, das Gedenken folgt jedoch keiner grundsätzlich tragischen Geste, sondern fördert immer wieder spannende, erstaunliche, hörenswerte Musik zutage. Und das nicht nur hier, in der Synagoge, sondern ebenso in Konzerthäusern oder Schulen. In diesem Jahr war die NJK unter anderem im Wallraff-Richartz-Museum Köln zu Gast, die NMB berichteten zuletzt von einem Konzert im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele, bei dem vor allem ein Komponist im Mittelpunkt gestanden hatte: Mieczysław Weinberg. Ihn gab es auch am frühen Sonntagabend vor vielen Ehrengästen wiederzuentdecken.

Zunächst aber gab es einen Rückblick in Ausschnitten oder Schlaglichtern – Miklos Rózsa und Alexander Zemlinsky hatten in den letzten 15 Jahren in den Programmen gestanden, oft mehrfach. Die NJK erinnerte daran, daß Miklos Rózsas eben nicht allein Filmmusiken geschrieben hatte (er gewann mehrere Oscars), sondern zu jenen klassischen jüdischen Komponisten gehörte, die in der Emigration das amerikanische Musikleben prägten – erst dadurch kam er ins Filmgeschäft. Zwei Sätze aus dem ersten Streichquartett (Bearbeitung: Michael Hurshell) offenbarten neben dem Farbenreichtum auch einen interessanten Aufbau von Motiven, Gegenstimmen bzw. Gegenläufigkeit und einem Gegenüber gestrichener Linien und rhythmisch prägender Pizzicati (Violoncelli). Gerade in der großen Besetzung steigerte sich das Lento in expressive Ausdruckskraft.
Auch das Streichquartett von Alexander Zemlinsky war eine Bearbeitung – sie zeigte wieder einmal eine Stärke der NJK: ursprünglich für Quartett oder Quintett geschriebene Stücke erscheinen nicht aufgebläht oder vergrößert, sondern gewinnen sinfonische Qualität, was für das Stück ebenso spricht wie für die Ausführung. Dabei ist die NJK kein permanentes Orchester und muß immer wieder – wie an diesem Sonntag – Musiker ersetzen, wenn diese in ihrem Stammensemble Dienst haben.
Und doch wird nicht aus jedem Kammermusikstück eine Sinfonie – Mieczysław Weinbergs Moderato assai aus dem Streichtrio Opus 48 blieb schlank und bewahrte den Duktus eines Trios, was durch die von den Stimmführern (Yoko Yamamura / Violine, Eduard Poharetski / Viola und erstmalig in dieser Position sowie Hans-Ludwig Raatz / Violoncello und »Stammbesetzung«) mit der NJK sehr ausgewogen dargestellt wurde.
Bei einem Satz Weinberg sollte es nicht bleiben, denn der wiederzuentdeckende Komponist war abschließend noch mit seiner zweiten Sinfonie zu hören. Hier fiel das Spiel zwischen Soli (besonders Yoko Yamamuras lyrische Violine) und Tutti bzw. Gruppen noch ein wenig herrlicher aus. Was den Erfindungsreichtum und den musikalischen Reiz betrifft, muß sich Weinberg keineswegs hinter seinem Mentor Schostakowitsch verstecken!
Die nächsten fünfzehn Jahre dürften also interessant werden, man kann nur die Daumen drücken. Zunächst wird sich die NJK in Dresden ein anderes Domizil oder Ausweichspielstätten suchen müssen, denn die Neue Synagoge wird wegen Sanierungsarbeiten für einige Monate geschlossen. Mit dem Scherzo für Streichorchester von Franz Schreker als Zugabe fiel der Ausblick aber zuversichtlich aus.
19. September 2022, Wolfram Quellmalz