Thierry Escaich mit gleich zwei Residenzen bei der Dresdner Philharmonie
Der französische Organist Thierry Escaich hat quasi vom ersten Moment – noch in Abwesenheit – dazu beigetragen, die Konzertsaalorgel des Dresdner Kulturpalastes zu erschließen. Schon in den ersten Programmen spielte der damalige Palastorganist Olivier Latry aus Escaichs »Évocation« – mittlerweile ist der Titularorganist an St.-Étienne-du-Mont in Paris selbst Latrys Amtsnachfolger in Dresden. Darüber hinaus ist Thierry Escaich – da nicht nur Organist, sondern auch Komponist – gleichzeitig Composer in Residence der Dresdner Philharmonie.

Nachdem am Sonnabend gerade der »Ring« mit Marek Janowski und der »Götterdämmerung« zu Ende gegangen war, sorgte Thierry Escaich quasi für einen Neuanfang – »Sonnenaufgang« war sein Programm angekündigt. Und er kam nicht allein – das ebenfalls aus Paris stammende russisch-französische Quatuor Tchalik begleitete den Organisten, interessanterweise den ganzen Abend über. Anders als in manchen Programmen der Sinfoniekonzerte in den letzten Jahren, welche die Kontrapunkte zwischen zum Beispiel Beethoven-Sinfonie und Streichquartett setzten, spielten Thierry Escaich sowie Gabriel und Louise (Violinen), Sarah (Viola) und Marc Tchalik (Violoncello) fast alle Stücke gemeinsam als Quintett. Fast, denn nach der ersten Orgelimprovisation, eigentlich mehr ein Intro, erklang quasi ein Quartett bzw. ein Quintett ohne Viola. Wolfgang Amadé Mozarts Sonate für Orgel und Streicher (KV 336) läßt sie aus bzw. überträgt ihren Part der Orgel – interessant vor dem Hintergrund, daß Mozart selbst gern Bratsche spielte und bei einer Aufführung wohl (stellvertretend) an der Orgel saß. Die Balance war bereits hier vortrefflich, bei Adagio und Fuge (KV 546), nun in regelrechter Streichquartettformation, nicht minder. Präzise, aber auch geradezu mystisch klang das Quatuor Tchalik und machte so auf sich aufmerksam – die feine Quartettkultur ist ihm gegeben, für Kammerabende sei der Name also vorgemerkt!
Ein Kammerabend war es diesmal nicht ganz, zu groß mit der Orgel, ein Orgelabend aber auch nicht – irgendwo dazwischen traf man sich, immer auf Augenhöhe. Sigfrid Karg-Elerts »Pastorale« in der rekonstruierten Originalfassung (Emmanuel Pélaprat) für Orgel und Streichquartett verband spätromantische Sprödigkeit mit den schimmernden Farben eines changierenden Impressionismus, Quartett und Orgel fanden darin zu einer organischen Synthese, trotzdem gingen aber die Feinheiten der einzelnen Streicherstimmen nicht verloren. So wie in Mozarts Fantasie f-Moll (KV 608) in einem Arrangement für Orgel und Streichquartett von Dania Tchalik, das noch einmal mit vielen fugierten Abschnitten diese holde Kunst – fast beiläufig – darbot.
Aus Felix Mendelssohns Streichquartett Opus 81 erklangen die Sätze eins und drei, ihre Bindung lag in einer zweiten kurzen Orgelimprovisation. In Ton und Gestus folgte Escaich Mendelssohn bzw. ging diesem voraus, womit sich – obwohl das Werk nicht als Quintett erklang, weil die Partner nacheinander (solistisch) spielten, eine recht geschlossene Form ergab.
Wer mehr von den Improvisationen erwartet hatte, war ob der Kürze vielleicht enttäuscht, dafür gab es jedoch die Zweitaufführung von Thierry Escaichs »Prana« (prana bezeichnet im Sanskrit die kosmische Urenergie). Das Quintett war wenige Tage zuvor (5. Oktober) in Köln uraufgeführt worden. Einen improvisatorisch scheinenden Beginn »holte« das Cello mit Pizzicati in einen konkreten Klangraum, folgende Läufe und weitgreifendes Schimmern entzogen ihm allerdings diese Konkretheit wieder. Interessant wäre es, die Wirkung des Werkes bei einer zweiten, dritten, … Aufführung zu verfolgen – nach der »Erstbegutachtung« blieb es deutlich hinter dem markanten Eindruck der Évocations zurück.
Oder lag es am Lichtfarbspiel auf der Bühne, das wieder einmal in kräftigen Rot-, Blau- und Grüntönen für illuminative Ablenkung (oder Irritation) sorgte? Nach dem starken Beginn wurde das Programm schlicht unterhaltender, auch belangloser, daran konnte eine Bearbeitung aus den Duos für Klavier und Harmonium von Camille Saint-Saëns nichts ändern. Ein wenig wie Jahrmarktsmusik schien das fröhliche Werk schon.
20. Oktober 2022, Wolfram Quellmalz
Nächste Konzerte mit Thierry Escaich: Silvesterorgelkonzert im Dresdner Kulturpalast (31. Dezember, 22:30 Uhr, mit Bach, Elgar und Escaich, unter anderem den Évocation I und II), Sinfoniekonzert am 21. (19:30 Uhr) und 22. Januar 2023 (11:00 Uhr) mit »La barque solaire« für Orchester mit solistischer Orgel
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