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Dresdner Kammerchor bezieht bei seinem Gedenkkonzert nicht nur Hörer ein

»Jenseits der Worte«, der Titel des Gedenkkonzertes am Mittwochabend in der Dresdner Annenkirche, hat viele Bedeutungen. Zum Beispiel die unaussprechlichen Leides, von Grausamkeit, die sich nicht in Worte fassen läßt. Im Programm des Dresdner Kammerchores spiegelte er sich zudem in zwei Werken, die – jenseits der Worte – dem Chor keinen gesungenen Text bzw. eine durch Text vermittelte Botschaft, sondern einen Klang auftrugen. Auch dieser, zeigte sich, entspricht einer Verkörperung und kann eine Botschaft vermitteln. Dirigentin Ekaterina Antonenko verriet vorab, daß ihr gerade eines dieser Werke, Morton Feldmans »Rothko Chapel«, das sie in diesem Jahr bereits mehrfach dirigiert hat, besonders am Herzen liegt.

Photo: NMB

»Jenseits der Worte« greift viel weiter, ist komplexer als ein im Vergleich simpel scheinendes »ohne Worte«. Und es birgt Ambivalenzen. Wie die Geschichte jener jüdischer Dresdner, welche durch eine Katastrophe, die Zerstörung der Stadt in den Nächten vom 13. und 14. Februar 1945, vermutlich ihr Leben gewonnen haben, weil sie der bereits festgesetzten Deportation entgangen sind.

Wer sich dem Gedenken der Pogromnächte zuwendet, dem wird schnell ein Zustand der Unfaßbarkeit bewußt. Insofern sind solche Versuche immer eine Annäherung, ein Herantasten, wie es Konzertdramaturg Oliver Geisler im Gespräch vor dem Konzert nannte. Der Kammerchor, der seit Jahrzehnten mittlerweile ein Konzert zum Gedenktag gestaltet, bezieht dabei nicht nur sein Publikum, sondern Schülerinnen und Schüler ein. In diesem Schuljahr ist den Oberstufenchor des Bertolt-Brecht-Gymnasiums, mit dem ihn eine Patenschaft verbindet. Das gilt für Vorbereitung des Konzerts und Erarbeitung des Themas ebenso wie für die Aufführung. Am Mittwochabend waren drei Schülerinnen am Vorgespräch beteiligt, das Schlußstück gestalteten Kammer- und Schulchor gemeinsam, am Donnerstagvormittag folgte in der Jugendkirche (Trinitatiskirche) noch ein Schülerkonzert »Lieder gegen Krieg«.

Im musikalischen Mittelpunkt standen Werke von Alfred Schnittke, David Lang und eben Morton Feldman. Mit dem 2001 verstorbenen Herman Berlinski hatte den Dresdner Kammerchor in seinen frühen Jahren eine Partnerschaft verbunden, immer wieder gehören seine Werke seitdem zum Programm. So begann sein »Miyi ten roshi mayim« (Ach wäre mein Haupt doch Wasser) den Abend, später folgten zwei Werke David Langs. Der 1957 in Los Angeles geborene Komponist gehört zur sogenannten 2. Generation mit jüdischen Vorfahren aus Deutschland.

Unterstützt von Schlagwerken (Georg Wieland Wagner), später Viola (Misha Balan-Dorfman) und Celesta (Hans Christian Martin) gelang Ekaterina Antonenko nicht nur eine expressive Ausdeutung der Werke von Herman Berlinski oder Morton Feldman, der Dresdner Kammerchor verblüffte auch mit seiner quasi instrumentalen Qualität, denn die nicht gesungenen, sondern in Vocalisen oder mit Summen dargestellten Werke wurden von einer Intensität und Homogenität getragen, die man so, derart berührend, nicht erwarten konnte. Morton Feldmans umfangreiches und an sich schwer faßbares Werk bestach immer wieder durch ein Gefüge instrumentaler und vokaler Elemente, David Langs »If I am silent« und »Make Peace« fokussierten mit einer teils fast kargen Reduktion gerade auf das Wort. Dazwischen setzte Alfred Schnittkes »Stimmen der Nacht« (allein mit Frauenstimmen und Schlagwerk) einen Ruhepunkt, jedoch keinen der Entspannung und Erholung, sondern einen, der einen ephemeren Zustand markierte, etwas Wertvolles, das es zu bewahren gilt.

Felix Mendelssohns »Verleih uns Frieden«, von beiden Chören gemeinsam gesungen, war nach solch vielschichtiger Vermittlung ein schöner, aber auch irgendwie notwendiger Brückenschlag, der die Unfaßbarkeit ein wenig aufhob, und von der Chorempore präsentiert ein gelungener Ausklang.

10. November 2022, Wolfram Quellmalz

Nächstes Konzert des Dresdner Kammerchores:

25. November, 20:00 Uhr, Konzerthalle Bamberg, Joseph Haydn »Die Schöpfung«, Christiane Karg (Sopran), Maximilian Schmitt (Tenor), Florian Boesch (Baß), Dresdner Kammerchor (Einstudierung: Tobias Mäthger), Bamberger Symphoniker, Giovanni Antonini (Leitung)

6. Dezember, 19:30 Uhr »A cappella im Zentralwerk« mit Werken von Heinrich Schütz, Benjamin Britten, James MacMillan und anderen, Dresdner Kammerchor, Tom Quaas (Rezitation), Konrad Schöbel (Leitung)

Im Radio:

BR-KLASSIK: »Bey meinem teglich mehr abnemenden Kräfften« – Musik-Feature zum 350. Todestag von Heinrich Schütz, 18. November 2022, 19:05 Uhr

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