Keine Gefälligkeiten

Sächsische Staatskapelle Dresden musiziert mit David Afkham Mendelssohn

Daß Christian Thielemann die Leitung des 4. Sinfoniekonzerts der Sächsischen Staatskapelle wegen anhaltender Schulterprobleme absagen mußte, ist mehr als bedauerlich – ein ganzes Mendelssohn-Programm hatte er vorgehabt, vor allem auf die »Reformationssinfonie« waren viele gespannt. Allerdings ist ein Dirigent ohne die Beweglichkeit seiner Schultern in seinem Wirken mehr als nur eingeschränkt, sein Rückzug daher verständlich. Die Staatskapelle reagierte flexibel, führte mit zwei Dirigenten und einer Solistin zwei Programme auf. Nach Tugan Sokhiev am Sonntag (Beethoven-Violinkonzert, Brahms: 1. Sinfonie) gab es mit David Afkham gestern ein etwas geändertes Mendelssohnprogramm, (leider!) statt der fünften die dritte Sinfonie, »Schottisch« statt »Reformation«.

David Afkham am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden im 4. Sinfoniekonzert, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Markenfotografie

Geblieben war die erste Programmhälfte mit der »Hebridenouvertüre« und Mendelssohns zweitem Violinkonzert. David Afkham ließ die Eröffnung – eine der denkbar schönsten für ein Konzert – tosen und differenziert funkeln. Die im Programmheft abgebildeten Werke William Turners schienen einmal nicht nur als Illustration, sondern Synergie – Bild und Musik boten gleichermaßen mehrbödige, subtile Farben. Besonders reizvoll gelangen der Sächsischen Staatskapelle die Akzente – statt das Wellenmotiv seidig und romantisch hervorzuheben, ließ David Afkham Bilder schroffer Felsen und heftiger Winde zu – so »kantig« hört man das Stück selten!

Auch das Violinkonzert e-Moll ist einer von Mendelssohns Geniestreichen. Julia Fischer ist damit seit Jahren vertraut, gestern jedoch begann sie ihren Part noch recht brav, federnd zwar und mit Lerchenstimme, aber das Orchester hatte zunächst die weitaus differenzierteren Klänge, ließ Soli (Oboe: Bernd Schober) markant aufblitzen – auch hier schien zu gelten, daß »romantisch« keineswegs zu »weich« (oder seicht) sein darf. Mit der Kadenz jedoch kam Julia Fischer in Fahrt. Ihre Artikulation ist ohnehin erhaben über jede Kritik, die Intonation sauber und präzise. Näher und näher rückten Solisten und Staatskapelle einander, ein kurzer Blickkontakt mit Konzertmeister Roland Straumer bestätigte wohl die Gemeinsamkeit, Wolfram Große ließ die Einwürfe der Klarinette perlen. Ob Mendelssohns ein Frühvollendeter war, läßt sich nicht sagen (schon allein, weil er viel zu jung starb und uns ein »Alterswerk« vorenthalten blieb). Zumindest beweisen seine Jugendkompositionen wie die Streichersinfonien bereits ein großes Können. Natürlich findet sich das in der »Schottischen« wieder, wenn das Thema zwischen ersten und zweiten Violinen wogt (vor allem im zweiten Satz).

Flexibilität war nicht nur in puncto Programm und Dirigent gefragt, Julia Fischer bewies sich ebenso darin: als Zugabe bot sie nicht einen Satz aus Bachs Partiten oder Sonaten (was ebenso gepaßt hätte), nicht irgendein Encore, sondern eine Caprice von Niccolò Paganini. Nachdem sie am Vortag die 13. gespielt hatte, entschied sie sich spontan für die 17. – verblüffend! Denn anders als die meisten üblichen Zugaben erfordern diese virtuosen Schmuckstücke einen erheblichen Aufwand der Vorbereitung – Paganini ist kein Repertoire, das man mal eben so abrufen kann (der Rezensent spricht aus Erfahrung, denn er kennt den Unterschied zwischen Konzert- und Hochbetrieb sehr genau)!

Bleibt man bei der Zählung der Mendelssohn-Sinfonien beim Gewohnten, ist die »Schottische« die Nr. 3 unter den großen. Auch diese ließ David Afkham dräuen und wie von ferne tosen – die Hebriden schienen vielleicht nicht allzu fern? Allerdings kann Mendelssohns Meisterschaft nicht darüber hinwegtäuschen, daß in den Mittelsätzen mehr Originalität und Ideen stecken, während die Ecksätze doch manche Längen haben. Die Sächsische Staatskapelle ließ den sinfonischen Kern jedoch pointiert funkeln, nachdem der erste Satz etwas schlicht dahingeglitten war.

15. November 2022, Wolfram Quellmalz

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