Collegium 1704 schöpfte aus den unerschöpflichen Gründen von Georg Friedrich Händel und Jan Dismas Zelenka
Immer wieder erweist sich die Annenkirche in Dresden als Pilgerstätte für Musikfreunde. Obwohl man im Innenraum unter anderem viel Jugendstil findet, erweist sie sich immer wieder als idealer und geliebter Ort für Barockkompositionen oder die Alte Musik überhaupt. Am Sonnabend trafen im Rahmen der Musikbrücke Prag-Dresden erneut zwei staunenswerte Werke beim Collegium 1704 aufeinander: Georg Friedrich Händels Dixit Dominus (HWV 232), ein Frühwerk, und Jan Dismas Zelenkas Missa Omnium Sanctorum (ZWV 21), eine Messe für Allerheiligen, die der Komponist in reiferen Jahren geschrieben hat, sie zählt zu den sogenannten »letzten Messen«.
Dirigent Václav Luks hatte wieder gut gewählt – nicht die Kontrastwirkung beider Werke, sondern jedes für sich kam zur Geltung, fast möchte man sagen, sie fanden als Ereignis statt. Das lag einerseits an der effektvollen Verzahnung von Musik und Text, die beide Komponisten – ganz unterschiedlich – geglückt war, andererseits an der prächtigen Aufführung. Auch hier könnte man von »Verzahnung« sprechen, kamen doch die Solisten wieder einmal aus den Reihen des Chores Collegium Vocale 1704.

Der Innenraum von San Lorenzo in Damaso in Rom – vielleicht der Uraufführungsort von Händels Dixit Dominus, Bildquelle: Wikimedia commons
Es ist einfach so, daß es sich »schön staunen läßt«, wenn man die Prager besucht. Ob in Dresden oder an ihrem Stammsitz oder ganz anderswo – sie reißen einfach mit. Bei Händel zunächst mit dem überwältigendem Elan des Chores, eines Feuerchores, ist man geneigt zu sagen. Dabei setzt Václav Luks jedoch nicht generell auf einen Überwältigungseffekt (der sich abnutzen würde), sondern setzt die Mittel dosiert ein. Das erlaubt ihm einerseits, lange Steigerungen innerhalb eines Satzes oder gar des ganzen Werkes sorgsam auszuarbeiten und den Höhepunkt wirklich am Gipfel zu setzen, andererseits kommen die Soli mühelos gegen die Macht von Chor und Orchester an. Dazu spendiert das Collegium noch den Chorfugen eine wogende Lebendigkeit. In Händels Dixit Dominus ließ erneut Tereza Zimková ihren Sopran glitzern, Kamila Mazalová (Alt) und Ondřej Holub (Tenor) rundeten das Klangspektrum in ihren Farbbereichen ab. An Kontrastwirkung fehlte es dabei nicht, wie im Dominus a dextris tuis, in dem sich Sopran und Baß (Tadeáš Hoza) gegenüberstanden. Oder im De torrente in via bibet, das mit Eisesfarben begann und durch den Gegensatz von Sopranen (auch Pavla Radostová) und Männerstimmen belebt wurde.
Die affektive Wirkung bei Händel war bereits groß, Zelenkas Missa bedurfte nicht einer weiteren Steigerung, sondern – der Anlage entsprechend – bot eine feinere Ausdeutung und Differenzierung, wofür unter anderem das Orchester um zwei Oboen (Katharina Andres, Petra Ambrosi) erweitert wurde.
Zelenka setzte weniger auf (jugendliche?) Überwältigung, weshalb die Einleitung des Kyrie bereits knapper ausfiel, das Christe eleison von Ondřej Holub kam einem Siciliano bereits nahe. Dieser Effekt des ruhigen Schreitens oder Wiegens wiederholte sich noch mehrfach in Adagio-Passagen, die nun ihrerseits für Kontrast zu den Tuttichören und reich orchestrierten Teilen boten. In dieser Vielfalt (des Konzerts) ließ sich wieder viel entdecken, wie Helena Hozovás (Sopran) feine Koloraturen. Wie Aneta Petrasová (Alt) verfügt sie dabei über eine stimmliche Eleganz, die verbindlich ist. Und auch hier gab es einen lustvollen, ja freudigen Baß: Tomáš Šelc jubelte mit seinen Stimmkollegen durchaus einmal aus dem Credo heraus – durften sie!
Nein, keine Gegensätze, kein Ausspielen zweier großer Komponisten, nur Ergänzungen. Händels Schluß durfte nach Zelenka noch einmal wiederholt werden.
13. November 2022, Wolfram Quellmalz
Das nächste Konzert »Laudate pueri« der Musikbrücke Prag-Dresden findet am 7. Dezember in der Annenkirche statt (Beginn: 19:30 Uhr). Auf dem Programm stehen Werke von Antonio Vivaldi, Johann Friedrich Fasch und Johann Georg Pisendel. Damit erklingt im Advent besonders festliche Musik!
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