Könige und Narren

Liederabend von Jussi Juola in der Dresdner Musikhochschule

Nicht nur Könige und Narren, auch ein paar Trolle hatten sich da sicher in den Konzertsaal der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden geschlichen, als Jussi Juola und seine Klavierpartnerin Ine Kang gestern ihren Liederabend gaben. Zumindest läßt das die Vielzahl der volkstümlichen Lieder vermuten – der Baßbariton brachte einiges aus seiner finnischen Heimat zu Gehör. Auch sonst war das Repertoire der beiden sehr weit aufgespannt – für manchen Besucher der Reihe Lied in Dresden sicher etwas gewöhnungsbedürftig. Andererseits: Wann hört man schon einmal Stücke von Eero Sipilä, Einojuhani Rautavaara oder Ture Rangström?

Liederabend im Konzertsaal der Dresdner Musikhochschule: Jussi Juola (Baßbariton) und Ine Kang (Klavier), Photo: NMB

Den Beginn der beiden Teile gestalteten Jussi Juola und Ine Kang jeweils relativ klassisch mit zwei kurzen Schumann- bzw. Schubertblöcken. Doch selbst hier blieben sie sich treu und wählten sorgfältig aus – bei beiden kann man immerhin Stücke finden, die weniger berühmt sind. An den ganz großen Werken allerdings, wie an Schuberts »Der Schiffer« (D 536), scheiden sich schon ein wenig die Geister – man hat schlicht viele Vergleichsmöglichkeiten. Unter gewieften Schubert-Exegeten kommt dieses stürmisch-frohlockende (ja, beinahe provozierende) Stück noch um einiges geschliffener, differenzierter, ausgefeilter daher. Die Krux liegt dabei wohl weniger darin, die Facetten des Schubert’schen Diamants zu polieren, als Untergründigkeit oder Subtilität zu erspüren – loslassen will hier gelernt sein. Gleiches gilt für Schumann – hier wie da können die beiden sonst vortrefflichen Künstler künftig sicher noch zulegen, weniger »korrekt« sein, dafür freier, spannungsreicher.

Schließlich gelang es sonst immer wieder. Immer dann, wenn die Interpretationsfreiheit größer war oder sich das Genre öffnete, hin zum Chanson vor allem, gelangen den beiden freie, verzückende, doppelbödige, freche Stücke. Dabei kann Jussi Juola, den viele aus seiner Dresdner Studienzeit noch als blendenden Interpreten kennen, von Liedern ebenso wie von Bach-Kantaten, auf eine ausgezeichnete Diktion vertrauen. Ob Deutsch, Finnisch oder Französisch – bei ihm versteht man jedes Wort! Trotzdem gerieten die teils deklamatorisch angelegten Texte bei Eero Sipilä (»Schein und Sein«) nicht statisch, in »Leider« spannten Jussi Juola und Ine Kang eine kleine Theaterszene auf. Die Synthese aus Deklamation und melodischem Fluß verblüffte zuweilen!

Noch mehr gelang dies bei Jacques Iberts Quatre Chansons de Don Quichotte und Viktor Ullmanns »Liederbuch des Hafis« – Lebensklugheit traf hier Witz oder Humor, mitunter schwarzen. Oder ironischen – wer mochte sich über die »Indiskretion« des hellen Mondscheins, der einen Betrunkenen nach Hause geleitet, beklagen?

Mit Einojuhani Rautavaara und Ture Rangström kehrten Jussi Juola und Ine Kang zum chansonesken und zum volkstümlichen Lied zurück. In Rautavaaras Fünf Sonetten an Orpheus fanden sie eine enorme dramaturgische Weite (»O ihr Zärtlichen«), bevor noch einmal (oder wieder) Könige und Narren auftraten: In Ture Rangströms Vertonungen steckte doch soviel Spaß wie Grauen! In Dresden durfte Jussi Juola auf eine kleine Fangemeinde vertrauen – zwei Zugaben mußten schon sein. Auf ein schelmisches Volkslied folgte – noch einmal finnisch – das schwelgende »Ol‘ kaunis kesäilta«.

22. November 2022, Wolfram Quellmalz

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