Christoph Eschenbach dirigierte beim Gewandhausorchester Gubaidulina, Mozart und Brahms
Sie hatte sich schon einmal von der Bühne zurückgezogen – Maria João Pires war regelmäßig Gast beim Gewandhausorchester Leipzig gewesen, vor allem mit ihren Beethoveninterpretationen, auch Robert Schumanns Opus 54 hatte auf ihrem Programm gestanden. Am Donnerstag und Freitag kehrte sie mit Mozart zurück und Iddo Bar-Shaï als Partner im Konzert für zwei Klaviere und Orchester Es-Dur (KV 365 / KV 316a). Zuvor jedoch gehörte die Aufmerksamkeit der Gewandhauskomponistin Sofia Gubaidulina.

Christoph Eschenbach, Photo: © Luca Piva
Konkordanzen können Tabellen oder Verzeichnisse sein, von wissenschaftlichem Wert für die einen, langweilig für die anderen. Oder berauschend – die zauberhaften Gedichte der amerikanischen Poetin Emily Dickinson sind in zwei Konkordanzen überliefert. Concordanza heißt ebenso ein Werk von Sofia Gubaidulina, das schon einmal im Gewandhaus zu Leipzig erklungen war. Nun war es erstmals im Rahmen eines Großen Concerts zu erleben – berauschend wirkte es allerdings nicht. Christoph Eschenbach lotete die Fassung für Kammerensemble sorgfältig aus. Gläsern beginnend, wandelte das Stück mehrfach seine Daseinsform, gewann an Perkussivität, erweiterte den Tonraum und dessen Hallhintergrund (Fagott), bis die Klarinette (Gast: Robert Oberaigner) für Belebung sorgte. In Episoden wanderte das Stück, schien einer weiten Steppe gleich, verfiel in Trägheit. Die Konkordanz Gubaidulinas will mitgedacht werden, bleibt intellektuell, schafft wenig sinnliche Anreize. Trotzdem wurde das Werk – oder die präzise Interpretation – überwiegend positiv aufgenommen.
Barrieren hinsichtlich der Verständlichkeit oder Überlieferung hat Wolfgang Amadé Mozart nicht zu befürchten, selbst dann nicht, wenn es sich um eines der seltener gespielten Klavierkonzerte handelt, was im vorliegenden Fall eher der Besetzung geschuldet ist. Maria João Pires stand mit Iddo Bar-Shaï ein Partner zur Seite oder vielmehr saß er gegenüber, der sich versiert im Umgang mit dem Stoff zeigte und auf seine Klavierpartnerin einzugehen wußte, die Sorgfalt Christoph Eschenbachs steht ohnehin außer Zweifel. So entspann sich ein ausgeprägtes Wechselspiel – zwischen Solisten und Orchester ebenso wie zwischen den beiden Klavieren. Das Dirigat gewann Geschmeidigkeit und Eloquenz noch manche perkussive Nuance ab, etwa als die Kontrabässe im Pizzicato die Repetition eines der Flügel unterstrichen. Der zweite Satz (Andante) wirkte mit dem ganzen Orchester kammermusikalisch fein wie bei Gubaidulina, nur den dritten belebten vor allem die Bläser. Horn, Oboe und Fagott verschmolzen außerdem im Tutti auf sinfonische Weise, wie es Johannes Brahms wohl gefallen hätte.
Zunächst aber legten Maria João Pires und Iddo Bar-Shaï mit einer Zugabe nach: Johann Sebastian Bachs »Gottes Zeit ist die beste Zeit« aus dem Actus tragicus (BWV 106) in einer vierhändigen Fassung. Alles wunderbar, nur klopfte und pochte irgendwo zwischen Pires‘ linkem Fuß und der Pedalmechanik des Steinway ein wenig stark ein Poltergeist dazwischen.
Dann aber durfte Johannes Brahms loslegen. Seine 1. Sinfonie (c-Moll, Opus 68) ist ein ungeheurer Magnet – und das Gewandhaus war nahezu ausverkauft. Das Publikum erlebte einen stapfend losstürmenden Brahms, der sich nach wenigen Takten schon aus dem (wuchtigen) Schatten des Riesen (Beethoven) befreite, leicht und unbekümmert wurde. Vital wirkte dies bis in die sinfonischen Seufzer. Den zweiten Satz veredelten die Soli der Klarinette, der sich kurz darauf die Oboe zur Seite gesellte. Christoph Eschenbach schloß den vierten Satz nahezu attacca an, hob den Choral in der Wiederholung in eine andere Ebene, nachdem sich die Balance in Richtung Bläser verschoben hatte – im Ganzen sehr romantisch, schwelgend. Oder war es schlicht – also doch Beethovens Fortsetzung – eine weitere Ode an die Freude?
13. Januar 2023, Wolfram Quellmalz