Etwas überdreht

Aribert Reimanns »Gespenstersonate« auf Semper Zwei

In August Strindbergs geisterhaftes Kammerspiel »Spöksonaten« (»Gespenstersonate«) treffen lebende Menschen auf Tote. Es geht jedoch nicht um eine Spuk- oder Gruselgeschichte, sondern um eine Schattenwelt – gegenwärtiges und vergangenes Leben verbinden sich in verschiedenen Ebenen. Schuld und Schulden werden zwar aufgearbeitet, weitergegeben, jedoch nicht ausgeglichen. Am Ende gibt es keine Lösung, keine (befriedigende) Antwort. Aribert Reimann hatte sich von Strindbergs Theaterstück zu einer Kammeroper (1984) anregen lassen. Vor einer Woche feierte es Premiere auf Semper Zwei, der Studiobühne der Semperoper. Wir besuchten die Aufführung am Mittwoch.

DAS STÜCK

Ein junger Mann, Herr Arkenholz, Student, hat die Fähigkeit, Tote zu sehen. Nach einer Nacht, die ihn traumatisiert hat, trifft er solche in einem herrschaftlichen Haus. Manche der Toten, wie den alten Direktor Hummel, kannte er früher (bzw. sie ihn). Ein Milchmädchen, die Frau und Tochter des Direktors, ein alter Oberst

Bald vermischen sich die Welten der Lebenden und Toten und sind nicht mehr zu unterscheiden. Der Student möchte die Tochter des Obersten heiraten, doch erhebt auch der Direktor ein Anrecht auf deren Vaterschaft. Unaufgelöste Konflikte zeigen sich in der erlebten (scheinbaren) Gegenwart zwischen Lebenden und Toten wie in der Vergangenheit der damals Lebenden – immer wieder spielt Direktor Hummel auf ein Unglück an, das dem Vater Arkenholz‘ widerfahren ist – trug er daran Schuld oder nicht?

Vorn: Der Alte (Andrew Nolen) und Das Fräulein (Jennifer Riedel), Ensemble, Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah

Mehr und mehr verwirren sich die Ereignisse. Es zeigt sich nur: niemand ist (war) frei, die Abhängigkeiten untereinander sind (waren) quälend – bei Strindberg wie bei Reimann gibt es keine Ausflucht, keine Lösung, Student Arkenholz bleibt, seine Alpträume erkennend, verwirrt allein …

INZENIERUNG UND AUFFÜHRUNG

August Strindbergs Kammerspiel lebt von der Konzentration, der Imagination, der Subtilität. Es führt die (Alp)träume der Figuren wie der Zuschauer vor Augen und lebt stärker von Monologen und Dialogen (bzw. Gedanken) als von einer Handlung. Regisseurin Corinna Tetzel hat versucht, diese Form aufzubrechen und verschiedene Perspektiven zuzulassen. Das Bühnenbild von Judith Adam (auch Kostüme) ist rund angelegt, die Zuschauer sitzen zwar nicht ringsherum, aber in einem Bogen. Mit viel Bewegung, fahrbaren Wänden und Spiegeln ergeben sich so neue Sichtweisen, ohne daß der Zuschauer den Platz wechseln muß. Dabei sieht niemals jemand alles – kein Platz im Auditorium ist optimal, das Verdecken gehört zum Spiel.

Die Idee geht nur zum Teil auf, aber die Konzentration auf die Sprache bleibt. Die Vermischung von Vergangenheit und Gegenwart, von Leben und Tod, die bedingte Abhängigkeit liegt im Stück und bedarf keiner Erläuterung, der Zugewinn an Perspektive ist kaum vorhanden, dafür gehen viele Aktionen »am Rande« verloren oder haben keinen Sinn. Allerdings nicht immer. Zumindest, wenn sie nicht zusätzliche Bewegung und damit Unruhe verursachen. Schon bei Strindberg gibt es eine ganze Reihe stummer Rollen, welche die Bühne bevölkern – Tote bzw. Geister. Und die setzt Corinna Tetzel gekonnt für Kommentare ein, läßt sie stumm oder still Texte mitsprechen.

Aribert Reimann hat für die Gespenster eine mitunter schrille Musik erdacht. Das Kammerorchester agiert dabei meist solistisch oder in Ensemblegruppen und heizt die Stimmung mit Tremolo und gleißenden Bläsern auf. Darin kann man eine Entsprechung der Stimmung oder Situation finden, andere mögen die Dauererregung schlicht anstrengend finden. Dirigentin Yura Yang umschiffte Klippen sicher und hob emotionale Höhepunkte heraus – eine Klangerfahrung war dies in jedem Fall. Das Problem lag eher darin, die vielen, bei Corinna Tetzel noch weiter aufgeblätterten Schichten zusammenzuführen. Doch vielleicht ist dieses Zusammenführen gar kein Ziel, sondern ebensowenig möglich oder notwendig wie ein durchgehendes Narrativ, eine stringente Erzählung.

Vorn: Bengtsson (Matthias Hennberg) und Das Fräulein (Jennifer Riedel), Ensemble, Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah

Am stärksten wirkten somit die solistischen und dialogischen Szenen, wie zwischen Andrew Nolen (Der Alte / Direktor) und Michael Pflumm (Student Arkenholz) zu Beginn. Erneut als starker Charakterdarsteller belebte Jürgen Müller als Der Oberst das Spannungsfeld, während Jennifer Riedel als Fräulein bzw. Tochter mit starken Lyrismen Begehrlichkeiten erweckt, was besonders beeindruckte, weil sie manche Szene allein spielte.

Das Konzept führte anfänglichen jedoch auch zu Irritation, weil Andrew Nolen und Michael Pflumm in der gemeinsamen Szene nicht einander zugewandt waren, sondern ins Publikum sangen. Das entsprach zwar dem Gedanken einer Einbeziehung, die Idee ging letztlich aber nicht auf.

Da beeindrucken die individuellen Darstellungen (unter anderem Sarah Alexandra Hudarew als Die Mumie, Philipp Nicklaus als Johansson und Matthias Henneberg als Bengtsson) eher und sorgten letztlich für eine geglückte Belebung des gesamten Bühnenraumes. Vielleicht braucht es auch mehr als nur eine Vorstellung, um das Stück zu begreifen? Vorausgesetzt, man ist gewillt und Reimanns Musik stellt kein Hindernis dar, ist die Möglichkeit dazu gegeben – mit knapp eineinhalb Stunden und sehr moderaten Eintrittspreisen hat die Semperoper eine gute Einstiegsmöglichkeit geschaffen. Vorab gibt es die wichtigsten Informationen in einer Einführung.

25. Februar 2023, Wolfram Quellmalz

Wieder heute (19:00 Uhr) sowie im April: Aribert Reimann »Die Gespenstersonate«, Kammeroper in drei Bildern, Sächsische Staatsoper / Semper Zwei

http://www.semperoper.de

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