Die Orgel bleibt ein Jahresinstrument

Dresdner Orgelzyklus präsentiert auch 2023 Vielfalt

Vor zwei Jahren war die Orgel das Instrument des Jahres. Im Grunde ist sie das dauerhaft, schließlich erklingt sie in vielen Orten und Kirchen auch während der Sommerpause im Konzert. Wie beim Dresdner Orgelsommer – die Internationalen Dresdner Orgelwochen erwarten im Juli und August wieder ganz besondere Gäste zum Beispiel aus Mailand (Paolo Oreni), Danzig (Hanna Dys) oder Vilnius (Karolina Juodelyte). Sie werden neben Klassikern wie Bach und Liszt Werke von Komponisten ihrer Heimat spielen oder improvisieren (Oreni). Manche von ihnen (Balázs Szabó / Budapest, Roberto Marini / Rom) haben Max Reger im Fokus, der das ganze Jahr über gespielt werden wird. Er gehört zu den Jubilaren (150. Geburtstag), die Kreuzorganist Holger Gehring am vergangenen Mittwoch in der Kreuzkirche vorstellte, und dabei zu jenen Jubilaren, die wir vermeintlich gut kennen. »Vermeintlich« meint, daß manche Einordnung hinterfragt werden darf. In Sachen Reger wird dazu viel Gelegenheit bestehen, auch die Dresdner Kollegen Samuel Kummer und Domorganist Sebastian Freitag beteiligen sich an dieser Analyse.

Komponist Gunther Martin Göttsche (Sinntal), dessen In tenebris Holger Gehring später im Konzert spielte, war erster Videogast beim »Gespräch unter der Stehlampe«, Photo: NMB

Andere Jubilare gilt es dem Vergessen zu entreißen oder ihr Œuvre neu zu entdecken. Holger Gehring hatte zum Auftakt in der Kreuzkirche unter anderem Johann Pachelbel (370. Geburtstag) im Programm. Viele kennen seinen Kanon, manche noch die dazugehörige Gigue. Doch Pachelbel hat ein umfangreiches Werk mit Schwerpunkten in der Chor-und Orgelmusik hinterlassen, das insgesamt gehört werden darf. Nach zwei Magnificat in den Kreuzvespern zuletzt durfte nun ein Praeludium, Fuga und Ciacona von diesem Reichtum zeugen. Raffiniert und vielfältig konnte es begeistern. Um einen anderen Jubilar, Jacques-Nicolas Lemmens (200. Geburtstag), rankte sich lang die (von ihm selbst erzählte) Legende, er habe in der Tradition in direkter Folge von Bach übernommen (Lemmens lernte beim Bach-Enkelschüler Adolph Friedrich Hesse in Breslau) und nach Frankreich getragen, wo sich daraus die Orgelsinfonik entwickelte. (Adolph Friedrich Hesse widersprach dieser Argumentation jedoch nicht nur, er fand auch wenig lobende Worte für Lemmens.) Interessant war seine Sonate No. I Pontificale durchaus, da man gerade im Allegro moderato einen Beginn der französischen Orgelsinfonik erkennen kann, jener Stilrichtung, die unter anderem Schüler Lemmons‘ wie Charles-Marie Widor und Alexandre Guilmant entwickelten. Doch insgesamt konnte das durchaus sehr effektvolle Stück mit den Qualitäten eines Reger oder Pachelbel nicht schritthalten – ein Ergebnis, wie es durchaus zur Jubiläumsbetrachtung gehört.

Seit Anfang Februar und bis zum ersten Mittwoch im Advent (Weihnachtliches mit Axel Thielmann in der Kreuzkirche) dauert der Dresdner Orgelzyklus. Außer den drei Hauptkirchen gehört der Kulturpalast zu seinen Spielstätten. Christian Schmitt kehrte bereits Anfang Februar dorthin zurück, Orgelfreunde dürfen sich am 5. April wieder auf Olivier Latry freuen, am 22. November gastiert dann der Freiberger Domkantor Albrecht Koch an der Eule-Orgel. Dazwischen bietet Cameron Carpenter mit »All you need is Bach« (27. September) seine sicher sehr spezielle Sichtweise auf das Metier

Nach der Kreuzkirche mit ihrem Format »Gespräch unter der Stehlampe« (immer 19:19 Uhr vor dem Konzert) bieten mittlerweile auch Hofkirche (Kathedrale) und Frauenkirche an vielen Abenden Künstlergespräche an. Danach dürfen dann Jehmlich-, Silbermann- und Kernorgel klingen. Eigene Schwerpunkte, reizvolle Programme oder interessante Gäste gibt es an jedem der Instrumente. Die Hofkirche sorgt für zahlreiche barocke Perlen mit Christian Weiherer (Hamburg) oder Gerhard Weinberger, erlebt aber auch Holger Gehring als Gast (»Von Barock bis Biedermeier«, 20. September) sowie immer wieder Improvisationen, wie von Samuel Kummer oder Tobias Aehlig (Paderborn). Das Programm von Julia Raasch (Weimar) wird mit Schumann, Schubert und Martin Sturm über die Romantik bis in unsere Zeit führen.

Ludger Lohmen war schon mehrfach in Dresden, er gehört zu jenen Organisten, die sich um Max Reger verdient machen, wie Irina Kalinovskaya. Beide spielen in der Frauenkirche. Die Kreuzkirche wartet mehrfach mit einem »Orgel-plus«-Programm auf. Manches wird aus der Pandemiezeit nachgeholt: am 25. September wird Holger Gehring von Posaunistin Julia Nagel aus Leipzig begleitet. Bereits am 24. Mai kehrt Sebastian Pachel zurück. Mit seiner Panflöte hatte er schon im vergangenen Jahr ein hörenswertes Konzert mitgestaltet. Nun stellen Holger Gehring und er die in der Folge entstandene CD vor. Für ihr Konzert werden sie dann um Nora Koch (Harfe) zum Trio wachsen.

Alle Konzerte im Überblick:

http://www.dresdner-orgelzyklus.de

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