Bruckner und die Vorfreude

Ehrendirigent Herbert Blomstedt wieder zu Gast bei der Sächsischen Staatskapelle

Wenn Herbert Blomstedt zu einem Dirigat kommt, ist das allein schon Grund, ein Konzert hoch einzuordnen. Nicht nur wegen seiner durchdachten, ausgewogenen Interpretationen, auch seine Programme verbinden nach wie vor Klassiker und Lieblingsstücke mit Neuentdeckungen. (Wir haben ihn in diesem Monat gleich noch einmal im Programm, am Tag der Buchmesseeröffnung in Leipzig setzt der [dort ebenfalls] Ehrendirigent des Gewandhausorchesters seinen Zyklus mit Sinfonien von Franz Schubert und Franz Berwald fort.) An diesem Wochenende stand auf dem Programm der Sächsischen Staatskapelle Anton Bruckners sechste Sinfonie, zum Palmsonntagswochenende hatte Herbert Blomstedt außerdem Igor Strawinskys »Psalmensinfonie« ausgewählt.

Genauigkeit und Maß: Herbert Blomstedt am Sonnabendvormittag im achten Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Matthias Creutziger

Mittlerweile sieht man dem bald 96jährigen Blomstedt sein Alter durchaus an. Nach einem Sturz im vergangenen Jahr wird er zum Pult gebracht und sitzt dort, statt zu stehen. Solche Sicherheitsmaßnahmen halten ihn aber nicht davon ab, frisch und vital zu agieren. Wo auch ein Fingerzeig zur Kommunikation genügen würde, wirkte Herbert Blomstedt freudig, zielgenau, schien mit der Musik aufzublühen. Solcherart erfrischt fand das Orchester zu einer Darstellung, die bei Strawinsky mitunter an ein Vexierbild erinnert. Und die zeigte, wie modern und teils avantgarde der Komponist klingen kann – der Beginn des ersten Satzes (Exaudi orationem meam / Erhöre mein Gebet, Herr) erinnerte an jüngere Werke von Francis Poulenc oder Jean Françaix. Der Eindruck wird noch verstärkt, weil Igor Strawinsky auf hohe Streicher gänzlich verzichtet hatte.

Mit dem Einsetzen des Chores (Sächsischer Staatsopernchor, Einstudierung: André Kellinghaus) wurde man dann jener expressiven Farben gewahr, die man mit Igor Strawinsky nahezu zwingend verbindet. Der zweite Satz (Expectans expectavi Dominum / Ich harrte des Herrn) entzückte mit einem Trio, in dem die Holzbläsersolisten bis zum Quintett wuchsen und die Macht des Chores mit kammermusikalischer Feinheit brachen – ein Bruch ohne »Schaden«, sondern der Ausgewogenheit und Gegensätze. Im Alleluja. Laudate Dominum (Halleluja! Lobet den Herrn!) vereinigte Herbert Blomstedt die Ströme von Chor und Orchester zu einem Korpus wie am Schluß einer großen Passion – seit zwei Wochen ist der neue Spielplan der Sächsischen Staatskapelle Dresden bekannt, und er wird den Laudate-Text in einer anderen Form mit Herbert Blomstedt wiederbringen, in Felix Mendelssohns »Lobgesang« – Vorfreude schon jetzt!

Eine andere Vorfreude ließ sich sogleich einlösen: Bruckners Sechste – in dieser Kombination! Und die Aufführung hielt, was man sich hatte versprechen dürfen. Denn Herbert Blomstedt ist nach wie vor ein Musikforscher, der sich mit neuesten Erkenntnissen auseinandersetzt sowie der Frage, welche Fassung eines Werkes das beste oder authentischste sei (oder ist es dasselbe?). Auch die Wahl seiner Bruckner-Fassungen hat dies in den letzten Jahren immer wieder bezeugt, diesmal allerdings war die Wahl keine echte – von der sechsten Sinfonie liegt (fast) nur die eine Fassung von 1881 vor. Die Frage von »früher« oder »später«, von Original und Überarbeitung stellte sich einmal so nicht (oder kaum – in der Entstehung mag es dennoch offene Punkte geben).

Wie eine Frage flimmerte auch das Maestoso kurz auf, dann schon baute sich – mit Echo und Antwort – ein feines Gebirge auf, das neben der felsigen Sprödheit feinste Strukturen, Zerklüftungen, irisierende Farben zeigte. Hier klang Bruckner durchaus einmal anders: nicht im Gegensatz, aber er fügt mehr und anderes hinzu. Herbert Blomstedt und die Staatskapelle ließen Strömungen zu, welche die typischen Blöcke und erratischen Monumente umflossen. Das »Kecke«, das der Komponist selbst ausgemacht hatte, zeigte sich in der vielfältigen Wandlung und Modulation, der Metamorphose von Themen, die sich hier und da andeuteten, um erst viel später im ganzen wiederzukehren, dann aber mit einer Macht und Pracht, als tauchten sie eben zum ersten Male auf. Die Gruppe der Violoncelli um Konzertmeister Sebastian Fritsch machte damit den Anfang, die Klarinetten (Solo: Robert Oberaigner) antworteten sogleich mit sattem Ton.

Man kann ja zu Recht davon ausgehen, daß die Sächsische Staatskapelle ihren Bruckner kennt (und kann), der Zauber einer Aufführung entsteht jedoch erst, wenn eine Ausgewogenheit besteht, die sich an den einzelnen Pulten und in der Gruppe allein nicht herstellen läßt. Darin ist Herbert Blomstedt nach wie vor ein Meister, die majestätische Ruhe des zweiten Satzes ein Beispiel und Beweis dafür – vielleicht war dies Bruckners schönster Satz? Doch das folgende Scherzo geriet nicht minder delikat. Der Wechsel von Pizzicati, Bläserantwort und Bogenstrich war herzerfrischend!

Mit herzlichem Dank!, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Matthias Creutziger

Darauf muß man erst einmal kommen: ein fallendes Motiv, daß aber lachend (keck) klingt. Das Finale nahm die Fäden auf, die seit dem Beginn gesponnen wurden. Verblüffend, wie hier nicht nur stringent Musik »gewoben« wurde, sondern mit welcher Spannkraft und offensichtlichen Freude Herbert Blomstedt dies bis zum Ende vorantrieb. Wie gesagt – ein Fingerzeig hätte genügt, auch der Augenkontakt mit Sebastian Fritsch zeigte immer wieder, daß die Rückversicherung besteht. Doch geprägt wurde die Aufführung durch den partnerschaftlichen Austausch – eine Sternstunde!

2. April 2023, Wolfram Quellmalz

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