Kreuzvesper zu Palmarum
Mit Palmarum bzw. dem »Palmsonntag« strebt die Passionszeit auf ihren Höhepunkt zu. Ringsum nehmen die Aufführungen von Passionen zu, auch der Kreuzchor wird diese Woche in der Dresdner Kreuzkirche Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion aufführen. Die Passions- und Osterzeit ist an Musik ähnlich reich wie die Advents- und Weihnachtszeit. Und so schöpfte die Capella Sanctae Crucis Dresden um Kreuzorganist Holger Gehring am Sonnabend aus dem reichen Œuvre und förderte wieder erstaunliches zutage: die Passionskantate »Il Pianto di Maria« (Die Tränen Mariens) von Giovanni Battista Ferrandini (früher Georg Friedrich Händel zugeschrieben und als HWV 234 eingetragen), die in Form und Darbietung eine Bereicherung war.

Giovanni Battista Ferrandini, Bildquelle: Wikimedia commons
Am Beginn jedoch standen Praeludium et Fuga e-Moll (BWV 548) von Johann Sebastian Bach. Schon die Tonart ist erstaunlich: als Kreuztonart steht sie symbolisch für Kreuzigung bzw. Crucifixus, wird dunkel und klagend mit Trauer in Verbindung gebracht, enthält aber bereits eine heldische Kraft. Bei Felix Mendelssohn zum Beispiel (zweites Violinkonzert) tritt sie strahlend hervor, auch Bachs Praeludium et Fuga hatte einen starken, hellen Charakter. Dazu konnte das Werk – immerhin etwa eine Viertelstunde lang – seine Kraft nach und nach entfalten und auf die Gemeinde übertragen.
Derart fokussiert konnte man sich dem »Il Pianto di Maria« zuwenden. Die Texte der Solokantate wurden von Heidi Maria Taubert mit sanfter Tonfärbung und beinahe schmeichelnder Phrasierung vorgetragen. Keine dramaturgisch aufgeladenen Erzählungen kennzeichnen den Verlauf, dafür ein melodisches Recitativo sowie noch stärker ausgeformte Accompagnati – Teile der Geschichte werden im nachhinein erzählt, eine wiederholte Cavatina lädt zum Verweilen ein, zu Trauer, Trost und Gebet. Die Aria Sventurati miei sospiri (Verwunschen seid ihr, meine Seufzer), eine wahre Tränenarie, markierte den Höhepunkt der Kantate, die ohne affektive, opernhafte Überspitzung auskommt. Die Instrumentalisten begleiteten ungemein geschmeidig und farbenreich, wiewohl zurückhaltend, malten aber »Lärm« und »Beben« illustrativ aus. Das so ungewöhnliche Werk ging denn auch (ohne Chor oder Choral) mit einem schließenden Recitativo zu Ende.
Pfarrer Holger Milkau leitete in seinem Wort zum Sonntag von der barocken Fülle der Darstellung auf den Sinn der Tränen über.
Nach dem Gemeindegesang (aus EG 91 »Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken«) überraschte noch der Schluß: Johann Pachelbels Canon und Gigue in D für Streicher und Basso continuo (vor allem der Canon) gehört zu den Lieblingsstücken vieler Menschen. (Der Rezensent hat ihn mehrfach zu Hochzeiten gehört.) Ein zwingender Zusammenhang mit der Passion oder Palmarum drängt sich nicht auf, aber als positive Verabschiedung in den Frühling, den Aufbruch, konnte es kaum etwas Schöneres geben.
3. April 2023, Wolfram Quellmalz
An den Kar- und Ostertagen ist der Kreuzchor musikalischer Hauptakteur in der Dresdner Kreuzkirche. Er wird außer der Matthäus-Passion eine Ostervesper sowie die Ostermette gestalten. Ausführliche Informationen unter: