Berauschend, aber zu viel

Jordi Savall und Le Concert des Nations bei den Dresdner Musikfestspielen

Beethoven wollte die Menschen glücklich machen, ist sich Jordi Savall sicher – aber auf einer höheren, geistigen Dimension (als bei »Spaß«). So sagte der katalanische Gambist und Dirigent im Vorgespräch zum Konzert der Dresdner Musikfestspiele (DMF) gestern in der Dresdner Frauenkirche. Und auch, daß alles, was Beethoven gemacht habe, eine enorme Energie brauche.

Das Versprechen hielt er, obwohl man sagen muß: weniger wäre manchmal mehr gewesen. Die schiere Kraft, mit der Le Concert des Nations und der Chor La Capella Nacional de Catalunya Ludwig van Beethovens Missa solemnis im Rahmen der Reihe »Originalklang« präsentierten, war atemberaubend und einnehmend, spielte die Zuhörer mit seiner Wucht aber eben manchmal »an die Wand« – mit anderen Worten: einiges war schlicht zu laut.

»Von Herzen — Möge es wieder — Zu Herzen gehn!«, Autograph / Anfang des Kyrie der Missa solemnis mit der berühmten humanistischen Widmung, Bildquelle: Wikimedia commons

Den musikalischen Sinn, Beethovens Impetus, traf Jordi Savall jedoch untrüglich, und das ab dem Kyrie. Wie sich die Stimmen von Solisten (Lina Johnson / Sopran, Olivia Vermeulen / Mezzosopran, Martin Platz / Tenor, Manuel Walser / Bariton), Chor und Instrumentalisten vereinigten, zueinander fanden, zeugte vom tiefen Verständnis des Dirigenten. Beeindruckend war die Geschlossenheit. Denn die Solisten treten selten als solche auf (erst fast am Ende), sondern als Quartett und vor allem im Wechsel mit dem Chor. Gerade diese Übergänge gelangen hervorragend. Allerdings ließ die Verständlichkeit des Chores (Einstudierung: Lluís Vilamajó) einiges zu wünschen übrig – sicher nicht wenig dem Manko der Lautstärke geschuldet.

Emotional ließ diese Missa keine Wünsche offen. Geradezu feurig loderte das Credo, und noch in expressivster Ausdeutung gelang Jordi Savall die sinnige, nachvollziehbare Teilung der Stimmen. Dann ergaben sich wunderbare Momente, etwa wenn Baß und Fagott melodischen Tiefgang vollzogen oder wenn der Chor in Fugen (wie beim »Amen«) beflügelt schien. Der wunderbarste, geradezu himmlische Moment ergab sich im Sanctus, als Violen und Violoncello nahezu allein spielten – hier gelang Jordi Savall etwas, was wohl unnachahmlich ist: der Klang eines Gambenconsorts! Allein dafür hatte es gelohnt, hierher zu kommen.

Im abschließende Agnus dei, das mit verzagtem (Jordi Savall nannte es ängstlich) Baß begann, durfte schließlich die Zuversicht zum Dona nobis pacem wachsen. Einziger Wermutstropfen: Manche Besucher achteten nicht nur nicht auf die noch erhobene Hand des Dirigenten und begannen vorzeitig mit dem Applaus, selbst in der Kirche muß man bei den DMF mit kreischendem Publikum rechnen. Auch wenn es aus Begeisterung passiert – muß das sein?

21. Mai 2023, Wolfram Quellmalz

http://www.musikfestspiele.com

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