Berührungspunkte

Ungewöhnlicher Auftakt der Dresdner Musikfestspiele mit zwei Sinfonien und den Münchner Philharmonikern

Musikfeste werden sonst gerne mit pompösen Werken und Stargästen eröffnet. Die Dresdner Musikfestspiele setzten am Donnerstag im Kulturpalast ganz auf die Königsgattung der Klassik, die Sinfonie. Dirigent Tugan Sokhiev erwies sich ein weiteres Mal als Gestalter, der mit Farben wie Kontrasten umzugehen weiß.

Eröffnungskonzert der Dresdner Musikfestspiele mit den Muenchner Philharmonikern , Sopranistin Christiane Karg und Dirigent Tugan Sokhiev. Photo: DMF, © Oliver Killig

Die Dresdner Musikfestspiele (DMF) locken in diesem Jahr mit dem Titel »schwarz weiß« und wollen damit durchaus provozieren. Zwar kommen viele Pianisten an die Elbe, aber eine »Pianomania« wie vor wenigen Jahren die »Cellomania« ist es eben nicht. Es geht um mehr und darüber hinaus, auch einmal über die Konturen der Klassik. Das ist per se nicht unbedingt greifbar, wer aber im Konzertplan (an die siebzig Veranstaltungen an 31 Tagen!) stöbert, stößt auf ein reiches Angebot, das es unter anderem erlaubt, verschiedene Orchester zu hören. Von Spezialisten wie Concerto Köln, dem Mozartteumorchester Salzburg oder dem eigens gegründeten Festspielorchester bis zu den großen Sinfonieorchestern wie dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg [NMB berichteten] oder dem Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks (morgen) – sie zu vergleichen schafft einen Teil der Festspielatmosphäre.

Am Himmelfahrtstag eröffneten die Münchner Philharmoniker mit Tugan Sokhiev den Reigen der DMF. Auf dem Programm standen Dmitri Schostakowitschs sechste sowie Gustav Mahlers vierte Sinfonie. In beiden fanden sich musikalische Berührungspunkte, schon in der »Irregularität« des Aufbaus – Schostakowitsch begnügt sich mit drei Sätzen und beginnt mit einem Largo, Mahler bleibt zwar formal bei vieren, beläßt sie aber in der Form (und Benennung) frei, versteckt das Scherzo, pflanzt dem letzten Satz Sopransolo ein.

Heute ist es schwer, Schostakowitsch einfach nur zu hören. Kaum ein Programmtext läßt Bezüge auf sein Leben und Deutungen aus. Wie auch? Fragen, wie der Komponist etwas gemeint habe, was in seinem Werk Ironie sei, kommen spätestens beim Hören, quasi durch die Hintertür, unwillkürlich wieder. Und doch ist da viel mehr: kraftvolle, vitale Violoncelli, die das Largo nicht in Sanftheit malen, sondern Spannung aufbauen. Die Blechbläser lösen diese auf – vorübergehend. Es sind die Konturen und Farben, die Tugan Sokhiev detailversessen suchte, fand, formte, nachzeichnete. Unverkennbar war schon im ersten Satz der Melos des Mahlerliedes (noch ohne Sopran), aber auch eine übermächtige Melancholie. Piccoloflöte, Pizzicati und die Celesta bildeten kleine Fluchtinseln da konnte der immense Münchner Orchesterapparat ganz zart klingen! Das Allegro (im Grunde ein Scherzo) ließ Sokhiev aufbrausen, entfachte im Presto einen fröhlichen Tumult, der an »Das goldene Zeitalter« erinnert – und die Frage nach der Ironie erneut aufwarf.

Die Farbbeherrschung beeindruckte bei Mahler noch mehr, denn hier verästeln sich die Pfade viel weiter. In manchem formte Tugan Sokhiev zu viel, man kann Mahler konzentrierter und vor allem Schostakowitsch noch kantiger, schroffer hören. Und doch war es eine feine Politur, die der Dirigent aufbrachte, keine Weichzeichnerei. Und er war ein guter »Bergführer«, der Orchester und Hörer auf den Gipfel brachte, die Motive aufblinken ließ, Instrumentalchöre ordnete. Verblüffend: einmal schien der Paukenschlag »von innen« zu kommen (Finale erster Satz), im dritten markierte er einen Punkt weit oben.

Mit Christiane Karg stand eine erstklassige Interpretin für die Texte aus »Des Knaben Wunderhorn« zur Verfügung. Während das Orchester motivisch zum Ausgangspunkt zurückkehrte, ließ sie die Verse von Achim von Arnim und Clemens Brentano wasserklar strömen. In ihrer Konturiertheit traf sich Christiane Karg mit dem Orchester, das die Sopranistin rücksichtvoll begleitete – Tugan Sokhiev schlüpfte in die Rolle des Quasi-Pianisten. Und gestaltete weiter: die Strophenanfänge nahmen instrumental an Schärfe zu, doch den Fokus setzt Christiane Karg, verweilte nicht nur auf Schlußzeilen, sondern gab ihnen Ruhe und Kraft. Und plötzlich schien sogar Richard Strauss ganz nahe.

19. Mai 2023, Wolfram Quellmalz

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