Wandelkonzert

Dirigentin Elim Chan erklimmt nächste Stufe

Unter den vielen jungen Dirigentinnen gehört die Hongkong-Chinesin Elim Chan zu den bemerkenswertesten, bisher aber (noch) unspektakulärsten. Sie hinterließ mit ihren bisherigen Auftritten bei namhaften Orchestern quasi eine Spur der Begeisterung, wurde teilweise enthusiastisch gefeiert. In Dresden debütierte sie vor gut einem Jahr bei der Philharmonie, Anfang des Jahres spielte sie bei der Berliner Staatskapelle ein Konzert mit Igor Levit – auf »Vorschußlorbeer« kann Elim Chan mittlerweile verzichten, sie ist bereits eine »Hausnummer« in der Dirigentenwelt.

Das zeigte sich am Donnerstag vergangener Woche im Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle nicht nur, man konnte es spüren – feinsinnig, zurückhalten, aber souverän leitete sie ein Programm, das vielleicht keine neuen Stücke, aber mehrfach einen Wandel offenbarte. Und das nicht nur in der Stimmungslage der Werke, sondern in den Kompositionen selbst.

Nicht immer mündet eine Bearbeitung in Orchestermulm à la Stokowski oder emotional überstrapazierte Schubertlieder, daß es den Kritiker graust – es gibt eine ganze Reihe hervorragender Übertragungen und Orchestrierungen. Interessant schon deshalb, weil darin ein ausgewiesenes Expertenfeld liegt, das manche Orchesterfassung noch über die originale Klavierkomposition hob, man denke nur an Mussorgskys »Bilder einer Ausstellung« in der Bearbeitung von Maurice Ravel.

Auch Igor Strawinsky sind Orchestrierungen gelungen, die aus dem originalem Werk, ohne diesem Schaden zuzufügen, etwas Neues gemacht haben. Bei Frédéric Chopins Nocturne As-Dur (Opus 32 Nr. 2) und dem Grande valse brillante (Opus 18), gerade letzteres eigentlich ein funkelndes Meisterwerk für Pianisten, ist dies der Fall. Wie sich im Nocturne mit der Staatskapelle der Klang aufweitete, von der Harfe auf die Streicher überging, Oboe, Violen und Hörner eine homogene Melange bildeten, kleine Soli eingeflochten waren – einfach fabelhaft! Statt wie in besagten Liedbearbeitungen eine emotionale Ausdeutung zu versuchen und in einer Überbeanspruchung zu enden, hatte Strawinsky eine innere Stimme in den Werken erspürt. Noch großartiger war, daß er darin deutlich eine Ballettmusik fand, wiederum, ohne das Ausgangsmaterial rhythmisch zu verfremden. Die feinsinnige Hand Elim Chans ließ viele Freiheiten für das bestens vernetzte Orchester – da bekam man Lust, einmal wirklich zum Ausgangspunkt der Bearbeitung zu gehen und das Ballett zu erleben.

Friedrich Thiele (Violoncello) und Elim Chan (Dirigentin) mit der Sächsischen Staatskapelle, Photo: Sächsischen Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Friedrich Thiele gehört als Erster Konzertmeister Violoncelli seit 2021 zum Orchester der Staatskapelle. Der ARD-Musikpreisträger, der in manchen Solo- und Kammermusikprojekten zu erleben ist, bekam unter Kollegen eine Auftrittsmöglichkeit mit Peter Tschaikowskys Rokoko-Variationen. Gleich noch einmal (fast) eine Ballettmusik, noch dazu eine, die bei manchem für kurzes Luftschnappen sorgte, war doch vor einigen Jahren beim Schlußakkord des gleichen Stückes Jan Vogler im selben Haus ein wertvoller Cellobogen zerbrochen.

Doch derlei Gedanken waren spätestens mit dem Beginn des Themas im Cello, vom Horn herbeigerufen, vergessen bzw. wie weggeblasen. Das Stück gelang nicht nur luftig, verspielt und farbenfroh, sondern mit charakteristisch herausgearbeiteten Variationen, wofür Elim Chan mit feinem Gespür sorgte. Für Friedrich Thiele war es weit mehr, als nur einen »schönen Bogen« (also Ton) vorzuführen: schlank, aber durchsetzungsstark ist er, aber auch geschmeidig; er kann ebensogut hüpfen, wie ihn Friedrich Thiele mit einem Vibrato subtil anreichert. Leicht und beschwingt, aber rhythmisch bestimmt wurde die Nähe zum Ballett deutlich, um gleich darauf pointiert den nächsten Charakter herauszustreichen.

Innig mit dem Orchester verbunden ergänzten sich kleine Glissando-Schluchzer und punktierte Passagen, die Kadenz durfte fast wild wachsen, doch sowenig der Ton des Violoncellos »brach«, so gelassen blieb Elim Chan, die alle Stimmen bündelte. Friedrich Thieles Zugabe, Rainer Lischkas »Sanguinisch«, sorgte nicht allein für Lokalkolorit, sondern erinnerte wohl gewitzt an frühere Übungsstücke – oder war es eine Vorstellung des eigenen Temperaments?

Der Wandel nach der Pause zeigte sich bei Claude Debussy. Denn seine Sarabande und Dance, noch einmal ursprüngliche Klavierstücke, die Maurice Ravel bearbeitet hatte, trugen die Nähe zum Ballett mehr dem Namen nach. Vor allem in der Sarabande überwog eine märchenhafte Feenwald-Stimmung. Dance (eigentlich eine Tarantella) erinnerte mit der ungemeinen Lebhaftigkeit an seinen Ursprung.

Igor Strawinsky sorgte für den Abschluß, wobei diesmal das Ballett (»Pulcinella«) der Ursprung war. Statt eines tänzerischen gab es in der Suite zum Ballett einen solistischen Reigen durch fast sämtliche Bläsergruppen. Die Sinfonia und später die Pizzicati der Cellogruppe gerieten etwas trocken, dafür überwog die Figurenzeichnung – Pulcinella ist sicher nicht sanguinisch, dafür um so expressiver!

21. Juni 2024, Wolfram Quellmalz

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