Vielfarbige Stufen von grau

Liederabend mit René Pape und Camillo Radicke

Große Liederabende in der Dresdner Staatsoper sind selten geworden. Am Freitag war es wieder einmal soweit, und Gottfried Sempers Haus war bis auf die letzten Plätze des vierten Ranges gefüllt. Und was macht René Pape? Stellt sich ein Programm der Tristesse zusammen, der Melancholie, der Schwermut, des Grauens… Um dann vorzuführen, wie viele Farbabstufungen in diesem Grau zu finden sind, wie belebt, lebendig, auch froh es zu klingen vermag.

Mit Wolfgang Amadeus Mozarts »Eine kleine deutsche Kantate« KV 619 rief Pape den Schöpfer des unermeßlichen Weltalls an, der – religionenübergreifend – Licht und Werk (das Schöpfertum) über Sektiererei stellt – genausogut hätte dies‘ Schlußwort über das »wahre Glück« dem Eremiten in einer Opernszene gehören können.

Von hier, der innigen Verschmelzung von Rezitativ, Andante und Allegro, ging es zu Ludwig van Beethovens Opus 48. In den Sechs Liedern nach Christian Fürchtegott Gellert schuf Beethoven kunstvolle Miniaturen, deren Begleitung dicht dem Text folgt, kaum Pause noch Verzierung zuläßt. René Pape gelang es glänzend, mit seinem Baß die kurzen Strophen klar zu deuten, mit Andacht (»Bitten«), Wahrheit (»Die Liebe des Nächsten«) oder mit hymnischem Dank (»Die Ehre Gottes aus der Natur«) auszufüllen. Mit bestechender Diktion gestaltete er wortgetreu den Text, gab ihm aber auch eine raumfüllende, bannende Betonung mit.

Auserlesen war dies Programm, das keiner schlichten Gewohnheit folgte, und so hatten René Pape und Camillo Radicke auch aus Franz Schuberts »Schwanengesang« sechs Lieder auserlesen. Dabei ließen sie die zärtliche Lieblichkeit der »Liebesbotschaft« ebenso außer acht wie die erregte Suche der »Frühlingssehnsucht« oder den frohgemuten »Abschied«. Gleichwohl fanden beide reichlich Gestaltungsraum, süßes Locken (»Das Fischermädchen«) und ein Erinnerungsbild voll Lebendigkeit (»Ihr Bild«) zu entfachen, deuteten aber vor allem die wechselvollen Verläufe der Strophen mit großer Tiefe. Mit Schubert bekam auch die Klavierbegleitung eine besondere Bedeutung, wurde zur gleichwertigen Zweitstimme, in die sich Camillo Radicke mit Behutsamkeit und Anpassungsvermögen ebenso fand wie mit dem Können zur Gestaltung. So setzte er Papes kräftigem Baß blitzende Akkorde entgegen oder unterstrich mit subtilen Klangschattierungen.

René Papes Baß war in der Höhe besonders leuchtend, hatte in den tiefen Registern ausfüllende Schwere und legte den Texten einen besonderen Sinn auf. Dieses auf die Worte bezogene, zwingende Folgen in Verbindung mit der leichtfüßigen, behenden Begleitung verhinderte wunderbarerweise eine allzu grundsätzliche, zum Beispiel melancholische, Stimmung des Abends. Den Abscheu des grollenden Atlas‘ konnte man um so tiefer fühlen.

Auch Roger Quilter hat ein reichhaltiges Liedœuvre hinterlassen. Drei Vertonungen nach William Shakespeare standen nach der Pause auf dem Programm, doch die Beklommenheit nahmen ihnen Quilter und Pape. So schien »Come away, death« von einer Schicksalsergebenheit beflügelt, der nichts Fatalistisches anhing. Und in »Blow, blow, thou winter wind« war die Fröhlichkeit eines Neckliedes enthalten.

Mit sieben auserlesenen Stücken  Jean Sibelius‘ schafften René Pape und Camillo Radicke noch einmal eine Wendung hin zu freundlichen Farben, ohne jedoch den Tiefsinn grauer Schatten ganz abzulegen. Hell sprudelnd entfachte »Der erste Kuß« Hoffnung auf Erfüllung, während die »Schwarzen Rosen« für eine nachdenkliche Eintrübung sorgten. Von geradezu schelmisch bis zu Tode betrübt wandelte sich allein ein Lied: »Mädchen beim Stelldichein«. Das patriotisch-pathetische »Be still, my soul« zu einem Thema aus »Finlandia« wollte sich im Anschluß hingegen so gar nicht sinnig an die Liedfolge fügen.

Mit vier Zugaben ließen René Pape und sein folgsamer Begleiter Camillo Radicke noch einmal nordisches Licht aufblinken (Grieg »Mein Traum«), sagten Dank (Schubert »An die Musik« und Strauss »Zueignung«) und verabschiedeten sich schließlich – diesmal in deklamatorischem Sprechgesang (Schubert »Abschied von der Erde«) von ihrem Publikum.

18. März 2017, Wolfram Quellmalz

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