Jagdszenen

Quartettgesellschaft des Leipziger Gewandhauses mit Armida und Widmann

Wenn sich ein Quartett nach einer Oper Joseph Haydns nennt, darf man annehmen, daß es diesem – oder Mozart – nahesteht. Das Armida Quartett (Martin Funda und Johanna Staemmler – Violinen, Teresa Schwamm – Viola und Peter-Philipp Staemmler – Violoncello) steht diesen geistigen Urvätern des Streichquartetts so nahe, als hielte es Mozart den Jagdrock, so daß er flink hineinschlüpfen kann. Dabei ist ihr Ansatz kein bißchen »verzopft«, sondern vor allem ganz natürlich. Wo andere (vor allem junge) Quartette mit Lebhaftigkeit und Energie mitreißen, spielen die Armidas schlicht Mozart – das ist so betörend wie innig und praktisch ein schulmäßiges Beispiel, daß die Musik des 18. Jahrhunderts nicht ins Museum gehört und auch nicht für uns »erschlossen« werden muß – sie entsteht ja gerade erst, vor unseren Ohren, und ist ganz aktuell.

Das »Jagdquartett« gab dem Sonntagabend im Mendelssohnsaal einen thematischen Bezugspunkt vor, und doch waren Hatz und Hetz nicht effektvolle Spielerei, sondern KV458 ein gediegener Gattungsbeitrag mit goldener Mittellage und feinster Artikulation. Mitreißend war es, aber nicht, weil es den Zuhörern einpeitschte, sondern weil sich die einzelnen, gepaarten und gekreuzten Stimmen so wunderbar verfolgen ließen, und weil vor dem flotten, frohgemuten Schluß dem Adagio so viel Ruhe und Zeit gegönnt war.

Und danach Jörg Widmann. Sein »Jagdquartett« setzt nicht bei Mozart an, sondern bei der Jagd, dem Hetzen, in die Enge treiben und Tod. Da zischten Bögen durch die Luft, wurden Fetzen einer Volksliedmelodie angestimmt und verformt, stießen die Spieler barbarische Schreie aus. All das war voll Spannung, szenisch beinahe, hatte einen musikalischen Kern, der das Treiben, Jagen vertonte und den ganzen Einsatz der Spieler forderte. Wo – wie schon das Programmheft herrlich gegenüberstellte – bei Mozart noch der Spaß an der Jagt und der feine Rock musikalisch formuliert scheint, stehen bei Widmann grundlegende Fragen im Vordergrund, bis dahin, wer der Stärkere und wer überhaupt das Opfer sei. Der Zuhörer kann all dies vor seinen Augen (Ohren) mitverfolgen, hört Föhren ächzen, ferne Jagdrufe, Knacken im Unterholz, sogar das fahle Mondlicht scheint in Töne gegossen, und plötzlich bricht das Wild vor dem Betrachter (Zuhörer) zusammen, Blut strömt… – Jörg Widmanns Quartett ist von ungeheurer Imaginationskraft, vor allem dann, wenn es so superb und ernsthaft vorgetragen wird. Denn: zwar ist es dem Typ nach ein Scherzo, jedoch kein Scherz. Und trotz allen Vergnügens braucht es auf »beiden Seiten« (Bühne und Parkett) ein entsprechendes Maß an Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung – in jedem Großen Concert des Gewandhauses hat man es vor Augen: »Res severa verum gaudium«.

Vergnügen allein beschriebe den Zustand nicht, in den das Publikum so versetzt wurde. Vielmehr war es Bereicherung oder schlichte Freude, daß moderne Musik so aufgeführt werden, so klingen kann. Viel Jubel und Bravi.

Der Komponist ist aber ebenso Klarinettist und wohnte nicht nur der Aufführung seines Werkes bei, sondern spielte selbst mit: Carl Maria von Webers Klarinettenquintett, eine verkappte Opernszene auch dies, für Singstimme und Begleitung, war der letzte Programmpunkt nach der Pause. Nein, der eben noch »zur Strecke gebrachte« Cellist hatte keinen Schaden genommen, ganz gefühlvoll sang Peter-Philipp Staemmler, wenn die Klarinette einmal schwieg. Jörg Widmann ließ sein Instrument fein parlieren und fand mit dem Quartett zu einer Einheit – das gemeinsame Verständnis war hier spürbar bis hin zu ausgestalteten Überleitungen. Die Fantasia. Adagio ma non troppo war von tiefbewegter Melancholie, und auch den Pausen im Menuetto. Capriccio presto gab das Armida Quartett Raum und Bedeutung.

Mit dem letzten Satz von Weber war jedoch noch nicht Schluß, denn wer wollte (und das waren nicht wenige) konnte in der abschließenden Quartettgesellschaft noch mehr hören von suizidalen Scherzi bei Mahler, der Arbeit des Streichquartettes mit Kindern und Jugendlichen oder darüber, wie schwer zumindest der erste Beitrag so wichtiger Gattungen wie Streichquartett oder Violinkonzert zu erringen ist.

4. Dezember 2017, Wolfram Quellmalz

Am 28. Februar findet ein Portraitkonzert mit dem Gewandhauskomponisten Jörg Widmann im Mendelssohn-Saal statt. Das nächste Konzert der Quartettgesellschaft gibt es am 4. Februar mit dem Julia Fischer Quartett.

Lesen Sie auch unsere Rezension zum letzten Klavierabend im Gewandhaus:

https://neuemusikalischeblaetter.wordpress.com/2017/11/09/lichtreflexe/

Schreiben Sie einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Verbinde mit %s